ISLAMISCHER FUNDAMENTALISMUS ALS HERAUSFORDERUNG BESTEHENDER ORDNUNGSSTRUKTUR |
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Автор Milena Stoyanova - Freie Universitat Berlin
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Петък, 01 Октомври 2004 03:02 |
I. Einleitung Die Terroranschläge in Amerika haben die Diskussionen über den Islam und islamischen Fundamentalismus in Mittelpunkt gerückt. Überall in den Medien finden sich heutzutage Berichte über den Islam, die uns ein Bild eines kompromisslosen Glaubens verschaffen, dessen Anhänger auch vor Gewalt nicht zurückschrecken, wenn es darum geht, die eigenen Glaubensansätze zu verteidigen oder andere Menschen ihrem Willen zu unterwerfen. Dabei fällt es auf, dass die Gleichstellung vom Islam, islamischen Fundamentalismus und internationalen Terrorismus zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist.
Tatsächlich ist der Terrorismus, der nach dem Ende des Kalten Krieges als eine neue Form des internationalen Konflikts eingetreten ist, heute als eine der größten Herausforderungen der Neuen Sicherheitspolitik zu bezeichnen, da die davon ausgehende Gefahr nicht mit den alten bipolaren Kategorien der Sicherheitspolitik erfasst werden kann. Doch die weit verbreitete Auffassung, dass der Islam für den Westen eine fundamentalistische Bedrohung darstellt, ist falsch und sogar gefährlich. Man sollte zwischen dem Islam als Religion und dem Islam als politische Ideologie unterscheiden und festhalten, dass die Politisierung von Religion nicht nur in der Welt von Islam, sondern überall zu beobachten ist. Innerhalb aller Kulturen und Religionen gibt es fundamentalistische Strömungen, die ihre Lehrsätze- egal ob mit politischem, religiösem oder ideologischem Charakter- als allgemein gültig zu durchsetzen versuchen. Die mehreren blutigen Auseinandersetzungen, die überall auf der Welt stattfinden, beweisen, dass das hohe Gewaltpotential fundamentalistischer Organisationen nicht zu unterschätzen ist. Viele Wissenschaftler sind sich heute darüber einig, dass es sich bei dem islamischen Fundamentalismus oder Islamismus um eine revolutionär aufgeladene politische Ideologie handelt, die sich in vielen Ländern im Nahen Osten und Nordafrika als Staats- (Iran, Sudan) oder Oppositionsideologie (Algerien, Philippinen) durchgesetzt hat. Bei den islamischen fundamentalistischen Bewegungen, die so oft die Schlagzeilen beherrschen, ist eine politische Instrumentalisierung des Islams festzustellen, wobei der enge Zusammenhang zwischen Islamismus und Terrorismus nicht zu übersehen ist. Die Frage nach der Beziehung und Verknüpfung zwischen Religion und Gewalt bzw. zwischen Fundamentalismus und Terrorismus ist zweifellos eine der wichtigsten und am meisten umstrittenen Fragen in der gegenwärtigen Debatte. Das Gewaltpotenzial fundamentalistischer Gruppierungen und die davon hervorgehende Gefahr stellen heute eine ernsthafte Herausforderung für den Staat und die Internationale Ordnung dar, die eine genauere Analyse der bestehenden Zusammenhänge erfordert. Dies ist auch der Gegenstand dieser Arbeit, der am Beispiel Ägypten untersucht werden soll. Der Begriff Fundamentalismus selbst regt viele kontroverse Meinungen und Vorstellungen an und daher verlangt er eine genauere Untersuchung- in dem ersten Teil beschäftige ich mich mit der Begriffserklärung und Entstehungsgeschichte des Fundamentalismus. In dem zweiten Teil untersuche ich am Beispiel des islamischen Fundamentalismus das Phänomen- Politisierung von Religion und suche nach den Ursachen der religiösen Widererlebung, die in der islamischen Welt noch seit Anfang der 70er Jahre festzustellen ist. Der dritte Teil soll dann am Fallbeispiel Ägypten die Problematik mit dem Umgehen und der Bekämpfung fundamentalistischer (militanter) Gruppierungen durch den Staat erörtern.
II. Hauptteil 1. Fundamentalismus Seit Langem hat sich der Begriff Fundamentalismus in der wissenschaftlichen Diskussion als Bezeichnung des Phänomens Politisierung von Religion durchgesetzt. Jedoch gilt er heute wegen seines geschichtlichen Hintergrunds als einen der umstrittensten Begriffe. In den öffentlichen Debatten werden Islam, Fundamentalismus und Terrorismus oft so eng miteinander verknüpft und assoziiert, so dass sich das Angstbild bzw. Bedrohungsbild Islam bereits festgesetzt hat. In diesem Zusammenhang scheint der Versuch einer Begriffsannäherung als erster Schritt dieser Hausarbeit angebracht.
1.1. Historischer Hintergrund und Begriffsannäherung Heute wird der Fundamentalismus meistens im Zusammenhang mit bestimmten Strömungen des Islams angewandt, jedoch stammt eigentlich dieser Begriff aus dem Bereich des Christentums. Als Antwort auf die sich schnell modernisierende Welt bildete sich Ende des 19. Jahrhunderts eine fundamentalistische Bewegung des amerikanischen Protestantismus, die liberalistische und moderne Tendenzen abwehrte. Zwischen 1910 und 1915 erschien in den USA die Schriftenreihe mit dem Titel „The Fundamentals. A Tastimony to the Truth“, in der sich protestantische Theologen mit Grundsatzfragen ihres Religionsverständnisses auseinandersetzten und an bestimmten fundamentals festhielten. Die wichtigste dieser Grundlagen war der Glaube an die Unfehlbarkeit der Bibel als verbal- inspiriertes Wort Gottes. Das feste Gefüge von Religion, Recht, Brauchtum, Erziehung und Moral wurde damals in Frage gestellt und es wurde aus religiösem Antrieb versucht, die Anhänger gegen die Moderne abzuschotten. Im Mittelpunkt der Angriffe der protestantischen Fundamentalisten standen dabei besonders solche Lehrmeinungen, die ein wörtliches Verständnis bestimmter übernatürlicher Ereignisse in Frage stellten, sei es die Erschaffung der Welt in sechs Tagen, die jungfräuliche Geburt oder die körperliche Wiederauferstehung und bevorstehende Wiederkunft Christi. Protestantische Endzeitbewegungen- Adventisten, Pfingskirchler, Presbyterianer- sowie Gruppen, die auf einer wörtlichen Auslegung der Bibel bestanden, wandten sich damals gegen die Darwinistische Evolutionstheorie. So wurde 1925 im so genannten „Affenprozess“ der Lehrer John T. Scopes wegen der Behandlung der Evolutionstheorie, die zuvor von einem Gericht in Tennessee verboten worden war, angeklagt und fast verurteilt. Im allgemein wurde die liberalistische Haltung verantwortlich für einen möglichen oder angeblich zu konstatierenden Werteverlust oder Wertewandel gemacht, der Unordnung und pluralistische Unübersichtlichkeit in die bürgerliche Moral bringt. Aus Angst vor den schnellen sozialen Wandel und der Modernisierung und der damit erzeugten Unsicherheit kehrten die protestantischen Fundamentalisten zu den so genannten Ursachen der in den früheren Zeiten vermeintlichen Ordnung, deren ideologische Grundlage in der jeweiligen heiligen Schrift nachzulesen sei. Mit der Revolution in Iran 1979 geriet der Begriff des Fundamentalismus erneut im Mittelpunkt der öffentlichen und wissenschaftlichen Debatten. Er wurde auf eine immer größere Zahl von religiösen, politischen, militanten oder terroristischen Haltungen und Bewegungen bezogen, so dass „Fundamentalismus“ zu einer schwammigen Modebezeichnung für diejenigen wurde, die die Moderne ablehnten. In seinem ursprünglichen Sinn bezeichnet der Begriff „Fundamentalismus“ das Wörtlichnehmen einer heiligen Schrift, ihrer Sachaussagen wie ihrer Handlungsnormen. Er besinnt sich auf ein Fundament, eine Grundlage, die ein Ausgangspunkt und Endziel all seiner Aktivitäten darstellt. Diese Grundlage – gleich ob politisch, religiös oder ideologisch- ist die Basis, um die sich alles dreht. Fundamentalistische Bewegungen erheben einen Alleinvertretungsanspruch und verstehen sich als alleinige und ausschließliche Besitzer politischer, religiöser oder sonstiger weltanschaulicher „Wahrheiten“. Ihre Doktrin stellt sich als einzige dar, die auf dem ständigen Wandel effektiv reagieren kann und die der Menschheit das Heil bringen wird. Solche Bewegungen sind hermetisch geschlossene Weltanschauungen, die für rationale Kritik nicht zugänglich sind. Ihre Ideologie beruft sich auf die angeblich ewige unverrückbare Wahrheit bestimmter Lehrsätze und richtet sich gegen die Moderne. Der Fundamentalismus kennzeichnet sich also hauptsächlich mit seinen absoluten Wahrheitsanspruch und kann nach Peter Häberle auch in Form vom religiösen, politischen oder wirtschaftlichen Fundamentalismus auftreten. So zeichnet sich der politische Fundamentalismus durch sein Bestreben nach der vermeintlich besten Staatideologie aus. Als Beispiele hierfür führt er den Kommunismus oder den extremen Nationalismus (Balkan) ein. Wirtschaftlicher Fundamentalismus ist etwa nach Häberle der Kapitalismus in Form der „reinen Marktwirtschaft“ in Differenz zur „sozialen Marktwirtschaft“. Bei dem religiösen Fundamentalismus weist er auf antimoderne und antiwestliche Strömungen im Islam hin, er betont aber jedoch die Tatsache, dass sich auch in anderen Religionsgemeinschaften fundamentalistische Richtungen herausbilden. Diese drei Erscheinungsformen unterschiedlicher Fundamentalismus schließen sich nach Häberle gegenseitig nicht aus und sind häufig bereichübergreifend. So kann politischer Fundamentalismus wirtschaftlich oder religiös motiviert sein. Thomas Meyer versteht dagegen der moderne Fundamentalismus als die Politisierung kultureller Differenz. An Beispielen wie der protestantische Fundamentalismus in den USA, der Hindu-Fundamentalismus in Indien, der evangelische Fundamentalismus in Guatemala, der jüdische Fundamentalismus in Israel, der buddhistische Fundamentalismus in Sri Lanka, der islamische Fundamentalismus in Südasien, der römisch-katholische Fundamentalismus in Europa und den USA betont er das Trennende im Inhalt ihrer Lehre und in der Gestalt der sozialen und politischen Ziele, die sie verfolgen. Mehr aber als alles Trennende verbindet sie ein Stil der verfeindeten Umgangs mit kulturellen Unterschieden, also eine Strategie vormachtorientierter Politisierung der eigenen Kultur gegen die Kultur der anderen, im Inneren ihrer eigenen Gesellschaften und außerhalb. Dabei stellt Meyer, wie viele andere Wissenschaftler, eine Rückkehr des dichotomen Feind-Freund-Denkens in der politischen Arena fest. Heiner Bielefeldt und Wilhelm Heitmeiyer bezeichnen den Fundamentalismus als eine spezifisch moderne Form der Politisierung der Religion, die sich nicht mehr als bloße Verlängerung eines religiösen Traditionalismus oder Konservatismus verstehen lässt, insofern sie in bewusster Auseinandersetzung mit der Moderne selbst gewissermaßen ein modernes Profil gewinnt. Die Besetzung des politischen Raumes durch religiöse Sprache impliziert eine Politisierung des Religiösen, in der die Religion sich selbst zum Instrument des politischen Machtkampfes darbietet oder als solches funktionalisiert wird. Sie sind der Meinung, dass unter dem Vorzeichen der Moderne die Politisierung der Religion einen gegenüber traditionellen Formen politischer Religion veränderten Charakter annimmt. Indem die religiöse Sprache sich mit politischer Programmatik und Propaganda auflädt, verflacht Religion selbst zur politischen Ideologie, die sich ungeachtet ihres spezifisch religiös eingefärbten Heilanspruchs von anderen, sekulären Ideologien der Moderne oft nur wenig unterscheidet. Der enge Zusammenhang zwischen Moderne und Fundamentalismus ist dabei wohl nicht zu übersehen. So wie Thomas Mayer den Fundamentalismus als „Aufstand gegen die Moderne“ bezeichnet , so stellt Büttner fest, dass der Fundamentalismus gleichermaßen eine Reaktion auf die Moderne, sowie Produkt und Bestandteil der Moderne ist: „Fundamentalismus ist zugleich ein Ergebnis der Moderne und die Antithese zum Modernismus.“ Dieser enge Zusammenhang und zugleich wichtiger Aspekt ist auch bei dem islamischen Fundamentalismus zu finden.
1.2. Islamischer Fundamentalismus Der islamische Fundamentalismus bzw. Islamismus spielt inzwischen in allen Ländern mit islamischer Kultur eine wachsende Rolle und in mehreren von denen stellt er eine ernsthafte Herausforderung der bestehenden politischen Machtverhältnisse dar. In Länder wie Saudi- Arabien, Iran und Sudan ist der Islam „Staatsideologie“, in Algerien, Ägypten, Jordanien und Malaysia oppositionelle „Gegenideologie“. Nach Friedemann Büttner lassen sich sowohl in den Erscheinungsbedingungen für muslimische fundamentalistische Bewegungen als auch in den Inhalten und Formen der Reaktion hinreichende Parallelen zu den amerikanischen Protestanten finden. Ähnlich wie die Protestanten in Amerika sind auch die islamisch- fundamentalistischen Bewegungen dadurch gekennzeichnet, dass sie einen „absoluten Wahrheitsanspruch der heiligen Texte und der Überlieferung gegen jede moderne Kritik verfechten, ... und eine Einheit von Religion und Politik erstreben, in der die religiösen Gesetze und Regeln unmittelbare Grundlage der Verfassung und des öffentlichen Lebens sind.“ Sie erheben heute den Anspruch alternative Staats- und Wirtschaftsauffassungen und eine umfassende Gesamtalternative zu den bestehenden Verhältnissen zu besitzen, die authentisch islamisch sein sollten. Die islamisch- fundamentalistischen Strömungen werden grob in eine sunnitische und eine schiitische aufgeteilt. Die islamische Glaubensgemeinschaft (Umma) spaltete sich nach dem Tode des Propheten in Schiiten und Sunniten, weil es unterschiedliche Auffassungen über die Nachfolge des Religiösen Oberhauptes gab. Bei den Schiiten, die eine Minderheit- etwa 10%- unter den Muslimen darstellen, übernehmen die Imame die Führungsrolle in den Gemeinden. Sie befinden sich im Besitz des Gesamtwissens und somit kommt denen absolute Autorität zu. Der Imam, der Vorbeter der islamischen Gemeinde in der Moschee ist, muss aus der Familie des Propheten Mohammed stammen. Der letzte Imam gilt seit Jahrhunderten als verborgen und dass er am Ende der Zeiten als Welterlöser (Mahdi) ein Idealreich errichten wird. Somit ist der schiitische Stellvertreter Allahs auf Erden- der Imam- unfehlbar. Die Imamiten, die größte schiitische Gruppierung, bestimmen im Iran seit dem 16. Jahrhundert die offizielle Religion, zu der sich die Mehrheit der Bevölkerung bekennt. Bei den Suniten dagegen gibt es keine zentrale Autorität. Sie sehen in dem rechtmäßigen Leiter der islamischen Gemeinschaft eine gewöhnliche Person, die sogar fehlbar sein kann. Islamische fundamentalistische Strömungen „verfechten eine Strategie der Reislamisierung »von oben«, die sich als vorrangiges Ziel die Eroberung der Politischen Macht als Mittel zur Errichtung eines »Islamischen Staates« setzt. Durch die Anwendung der Scharia, des aus den heiligen Schriften des Islam- Koran und Sunna (Überlieferung der Aussprüche und Handlungen des Propheten Muhammad)- abgeleiteten Gesetzes, soll dieser neue Staat dann die tief greifende Umwandlung des sozialen Gefüges vorantreiben.“ Sie streben also die vollständige Islamisierung des Gesellschafts- und des Staatswesens an, die buchstabengetreue Befolgung des Koran. Sie predigen Hakimiyyat Allah/ Gottesherrschaft und bieten den Islam als einzige Möglichkeit, die Krisen der Zeit zu überwinden und eine sichere Zukunft zu bieten. Für islamische Fundamentalisten ist die Botschaft des Korans eindeutig und unveränderlich. Selbst in den kleinsten Dingen des täglichen Lebens, etwa in der Art, den Bart zu tragen, dulden sie keine Abweichung von dem, was ihnen als unmittelbares Gotteswort gilt. Koran und Sunna geben nach ihrer Überzeugung auf alle fragen des Lebens eine eindeutige und klare Antwort. Sie sehen Islam und Politik als eine Einheit und die Scharia als Rechts- und Werteordnung als universal gültig. Die rituellen Vorschriften der Scharia sind in den meisten islamischen Ländern noch gültig, die rechtlichen Gesetze dagegen bestimmen nur in wenigen Staaten wie in Iran das Rechtssystem. Anhänger der schiitischen und sunnitischen Bewegungen gibt es in fast allen islamischen Ländern, aber nur der schiitischen Bewegung gelang es eine Übernahme der Staatsmacht (z.B. Iran). Deshalb tauchten ab Mitte der 80er Jahre Gruppen, die einer Reislamisierung von unten erzielten. Sie versuchten „den einzelnen in seinem Alltagsleben zu erreichen, um ihn zu einem radikalen Bruch mit der ihn umgebenden „gottlosen“ Gesellschaft und zur strikten Nachfolge des Propheten zu veranlassen“.
1.3. Fundamentalistische Denker Zum Ausgangspunkt für islamische fundamentalistische Bewegungen wurde das Denken des ägyptischen Reformtheologen und Juristen Muhammad Abduh (1849-1905). Er führte die Schwäche und Rückständigkeit der Muslime auf eine Erstarrung zurück, die nur durch die Widerbelebung der von salaf (rechtschaffene Altvorderen) vertretenen Prinzipien des Islam zu überwinden sei. Diese Orientierung am Vorbild der Altvorderen wurde zum Grundmuster für die in unterschiedlichen Ausprägungen wirksame Bedeutung der salafiya. Er und seine Schüler versuchten die Probleme ihrer Zeit durch neue Interpretationen alter Prinzipien zu lösen, wobei sich diese Interpretationen oft voneinander stark unterschieden. Die Trennung von Politik und Religion wurde aber mehrheitlich scharf als mit Islam unvereinbar abgelehnt. Hasan al-Banna (1906-1949), der 1928 in Ägypten die Gemeinschaft der Muslimbrüder gründete und als Nachfolger eines der Schüler von Abduh galt, setzte sich für eine Modernisierung der Gesellschaft ein, die wissenschaftlich-technischen Fortschritt nach westlichem Muster mit einer grundlegenden ethischen Erneuerung aus der islamischen Tradition verbindet. Dabei ging es um die Einrichtung eines Staates, in dem alle gesellschaftlichen Bereiche aus dem Geist bzw. dem Buchstaben des Korans geregelt sein sollten. Der Koran und die als Antwort auf die Offenbarung entstandene Ordnung der Gemeinde Muhammads bildeten die zentralen Bezugspunkte- die Fundamente der Muslimbrüderschaft. Für die Muslimbrüder war eine Trennung von Religion und Staat, wie in den Mehrzahl der Staaten des Nahen und Mittleren Osten, nicht akzeptabel. Zu den einflussreichsten Denkern der Muslimbruderschaft gehört der Ägypter Sayyid Qutb (1906-1966), der die Moderne, als Ursache zur Entfremdung des Menschen von sich selbst, ablehnend gegenüberstand. Qutb zählt zu den radikalen und extremistischen Denkern, die die Unterwerfung unter dem Willen Gottes, ein ersten Akt der Befreiung von Unterdrückung und Versklavung durch andere Menschen darstellt. Die Abhängigkeit, die durch den nach westlichem Muster organisierten Staat entsteht, muss mit einer totalen Revolution begegnet werden. So ist für ihm Islam die „Revolution gegen die Vergöttlichung von Menschen, gegen Ungerechtigkeit und gegen politischen, wirtschaftliche, rassistische und religiöse Vorurteile.“ Ein anderer bedeutender islamisch fundamentalistischer Denker ist Abu l-A’la al-Maududi (1903-79), der in Indien die Islamische Gemeinschaft gründete. Auch er lehnte die Gründung eines säkularen muslimischen Staates ab und forderte stattdessen die Einrichtung eines islamischen Idealstaates, indem das islamische Recht- Scharia angewendet wird. In vielerlei Hinsicht wirkten die Vorstellungen von Al-Maududi rigoroser als die der Muslimbrüder in der arabischen Welt. Wie sie trat er für die Trennung der Geschlechter und gegen die Moderne ein, wollte aber auch Theater, Radio, Musik und andere Künste verbieten, weil sie den waren Muslim von Gott ablenken und daher als unislamische angesehen werden müssen. Als ein anderer wichtiger schiitischer Denker ist hier Ayatollah Ruhollah Musawi Khooeimeini (1906-1989) zu nennen, unter dessen maßgeblichen Einfluss in Iran eine von der schiitischen Imamatslehre geprägte Sonderform des islamischen Fundamentalismus entstand. Unter seiner Führung errang sie in der islamischen Revolution von 1979 nach dem Sturz des Schahs die Macht. Gemeinsam bei den islamischen fundamentalistischen Denkern ist die Interpretation des Islams als etwas, das dem Westen völlig Entgegengesetztes. Sie verweisen ständig auf eine glorreiche Vergangenheit hin. Angefangen von dem ägyptischen Lehrer Hasan al-Banna über sunnitische Ideologen wie Qutb oder Abdul al-Maududi oder schiitische Denker wie Ali Schari’ati bis hin zu den Terrororganisationen wie al-Qaida – geht es stets um die Korrektur einer vermeintlich schief gegangenen Geschichte, um die Rückkehr zum verklärten und mythisch überhöhnten Urzustand der islamischen Gemeinde- Umma. Ähnlich wie die Protestanten in Amerika den Terminus „Christ“ für sich reklamierten und damit ausschließlich diejenigen bezeichneten, die ihre ganz bestimmte Version des Glaubens teilten, so ziehen auch die islamistischen Denker und Aktivisten die begrifflichen Grenzen zwischen sich, den anderen Muslimen und allen anderen, die ihre Ansichten nicht teilen. So stehen sich die Gläubige und Ungläubige, Allahs Freunde und Feinde in einem ständigen und unerbittlichen Kampf gegenüber.
2. Die religiöse Widerbelebung in der islamischen Welt Der Einfluss des islamischen Fundamentalismus ist heute stärker als je. Er liefert seine eigene, alle Bereiche des Lebens umfassende und bestimmende Weltanschauung, die den westlichen Werte und Normen entgegengesetzt wird. Woran liegen die Ursachen für den stetigen Vormarsch islamistischer Bewegungen und welche Ziele sie verfolgen, soll im Folgenden kurz geschildert werden.
2.1. Ursachen Wie bereits erwähnt wird der islamische Fundamentalismus von vielen Wissenschaftlern als Aufstand gegen die Moderne charakterisiert. Die „Moderne“ als Begriff aus der westlichen Gesellschaftstheorie beschreibt Entwicklungen des Rechtstaates, des wirtschaftlich- technischen Fortschritts, der Säkularisierung und der Individualisierung in Folge der Aufklärung. Die Moderne ist über die islamischen Länder erstmals in Gestalt des Kolonialismus hereingebrochen und heute ist sie in Form von immer zunehmender Globalisierung nicht aufzuhalten. Vor dem Kolonialismus war die Einheit von Religion und Politik in den islamischen Ländern eine fest eingebürgerte Vorstellung. Diese Einheit verkörperte jahrhundertlang die Institution des Kalifats. Im Zuge des Kolonialisierungsprozesses wurde das europäische Modell des Nationalstaates, das eine Säkularisierung von Religion und Politik voraussetzt und auf dem Prinzip der Völkersouveränität beruht, auf die islamischen Länder übertragen. Der Nationalstaat gilt heute als zentrale Interaktionseinheit im System der internationalen Beziehungen. Er wurde aber nach Bassam Tibi im Fall der islamischen Länder „nach westlichem Muster in einem Umfeld gegründet, in dem sich diese Institution nicht entwickeln konnte, weil die hierzu nötigen Voraussetzungen fehlten“.14 Der Nationalstaat, der auf rein westliche Normen und Werte wie Volkssouveränität und Demokratie beruht, steht in krassem Unterschied zu der islamischen Vision vom Gottesstaat oder Gottesherrschaft- Hakimiyyat Allah. Die Unterlegenheit gegenüber den Kolonialmächten und die Konfrontation mit den politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Ideen des Westens hatten in den islamischen Gesellschaften eine Identitätskrise zur Folge. Noch damals gewann die Berufung auf den Islam die Funktion der Selbstversicherung einer kulturellen Identität und des Rahmens für eine nationale politische Selbstbehauptung gegen die Kolonialmacht. Nach der Unabhängigkeit war die islamische Einheit- Umma zerstört und es war nur eine Vielfalt von Staaten mit häufig willkürlichen Grenzziehungen hinterlassen. Im kulturellen Aspekt wurden westliche Werte und Normen übernommen, die im Widerstreit mit alten Traditionen standen. Nach der Abschaffung des Kalifats bestand keine Institution mehr, die einiger Autorität im Nahmen der Muslime hätte sprechen können. Nach Özay Mehmet drückt sich die Identitätskrise in den islamischen Ländern heute in dem folgenden Dilemma aus: „Bin ich zuerst Muslim oder Bürger des Staates in dem ich lebe?“ Die Bevölkerung dort hat das schwierige Problem vor sich, das islamische Modell einer universalen und homogenen Ordnung, das gänzlich in den Vorstellungen von Einheit Gottes (tauhid) und der seinen Geboten unterworfenen unteilbaren Gemeinschaft der Gläubigen (Umma) verankert ist, mit den nationalstaatlichen Realitäten zu vereinbaren. Die in ihrem Ursprung europäische nationalstaatliche Organisation des internationalen Systems gilt heute als Grundlage der Weltordnung. Aber sie lässt sich sehr schwierig mit dem Universalismus des Islam versöhnen- besonders dort wo der Nationalstaat gescheitert ist, zu keiner positiven Entwicklung, im Sinne von sozio- ökonomischem Fortschritt geführt hat und wo es kein Vertrauen mehr an die nach westlichem Muster organisierten Regierungen gibt. Den Muslimen fällt es sehr schwierig, sich mit dem Nationalstaat zu identifizieren, da er eher als einen Gewaltapparat wahrgenommen wird. Nach der Entkolonialisierung brachten die neuen Regierungen an die Tagesordnung die Steigerung des wirtschaftlichen Wohlstands und die Wiederherstellung der Einheit der arabischen Welt. Vielen Muslimen wurde aber immer deutlicher, dass ihrer Gemeinschaft auf dem seit 19. Jahrhundert eingeschlagenen Weg der „Verwestlichung“ nicht den erhofften und erwarteten Erfolg erreicht hat, sondern dessen Gegenteil. Die verfehlte Politik der islamischen Regierungen und die westliche Dominanz führten nur zur Rückständigkeit und Unterentwicklung. „Alle den Staat legitimierten Ideologien, zumal die aus Europa importierten Formen wie Liberalismus oder Sozialismus, werden in Zweifel gezogen und als Deckmantel für den Despotismus und die politische Unfähigkeit der Führer enttarnt.“ Der Konflikt zwischen Tradition und Moderne und die Unfähigkeit der postkolonialen Regierungen ihre Versprechen zu realisieren, führten zum Anstieg der Bewegungen, die sich auf das Ziel verpflichtet hatten, islamische Regierungsformen „wiederherzustellen“. Solche Bewegungen sahen im Islam eine attraktive ideologische Waffe im Kampf gegen die postkolonialen korrupten, autoritären oder tyrannischen Regime. Die westliche Dominanz und die aufgezwungene Moderne lösten also eine kulturelle Gegenbewegung aus, die sich in der Suche nach eigenen kulturellen Identität und Rückkehr bzw. Widererlebung von religiösen Traditionen ausdrückt. Die Muslimbrüder predigten die islamische Lehre, die einer islamischen Gesellschafts- und Politikordnung anstrebt, schon seit 1928. Sie diente und dient noch heute als Musterbeispiel für viele islamisch- fundamentalistische Bewegungen. Als eine der Ursachen, für die religiöse Widererlebung in der islamischen Welt, wird auch die rasch zunehmende Urbanisierung genannt. In vielen islamischen Ländern hat ein exponentieller Wachstumssprung in der Urbanisierungsrate das kulturelle und demographische Gleichgewicht zwischen städtischer und ländlicher Bevölkerung nachhaltig verändert. Die riesige Menge von kaum urbanisierten Landflüchtlingen wurde ein leichtes Ziel für die Botschaften populistischer Prediger und Demagogen. In Ländern wie Ägypten ist es den islamistischen politischen Bewegungen mit ihren Wohlfahrtsorganisationen gelungen, die Lücken zu füllen, die sich durch das Versagen der Regierung bei der Bewältigung von Armut oder anderen durch übereilte Urbanisierung entstandenen sozialen Problemen aufgetan haben. In diesem Zusammenhang kann man auch annehmen, dass die religiöse Widererlebung auch die zerstörerischen Auswirkungen des sozialen Wandels in den islamischen Gesellschaften widerspiegelt, der durch die rapide zunehmende Urbanisierung entstanden ist. Es ist offensichtlich, dass die islamistischen Bewegungen ihren großen Zustrom bedingt durch die soziale Situation finden. In den Riesenstädten wie Kairo, Ghaza-Stadt, Islamabad oder Jakarta finden viele beim Islamismus nicht nur geistigen Halt sondern auch soziale Hilfe. Islamische Organisationen begrenzen ihre Tätigkeit nicht nur in Predigen in den Moscheen. Sie führen auch Spitäler und Schulen, die den Ärmsten offen stehen. Jedoch zeigt die Stärke des islamischen Fundamentalismus in Saudi-Arabien und in den wohlhabenden Golfstaaten, dass die Entstehung der islamischen fundamentalistischen Bewegungen nicht nur durch sozioökonomische Faktoren zu erklären ist. Dieser Fakt wird auch durch die Umstände, unter den islamistische Bewegung und Terrororganisation al –Qaida entstanden ist, bekräftigt.
2.2. Re-Islamisierung als politischer Prozess „Islam ist eine Religion, Islamismus ist eine Ideologie.“ Ähnlich wie Bassam Tibi oder Heiner Bielefeldt und Wilhelm Heitmeiyer argumentiert auch Udo Ulfkotte, dass es sich beim islamischen Fundamentalismus um nichts anderes als um eine „neue“ politische Ideologie handelt, die nicht die Ursache sondern die Folge des Scheiterns des westlich organisierten Nationalstaates. Ein wichtiges Kennzeichen islamistischer Bewegungen stellt nach Ulfkotte ihre Ablehnung die Religion als private Angelegenheit des Einzelnen zu betrachten und die Umfunktionierung des Islams in einer politischen Ideologie mit revolutionärer Stoßrichtung. Mit der iranischen Revolution 1979 gelangten Islamisten erstmals in der Lage, ihre Vorstellung von einem islamischen Staat zu Verwirklichen. Später folgten auch die Machtübernahmen in Sudan und in Afghanistan. Gemeinsam und zugleich ein unübersehbarer Kernbestand aller Formen und des islamischen Fundamentalismus ist die neben der Ideologisierung der religiösen Tradition auch ihre Politisierung. Die Auffassung, dass die angestrebte Lösung für alle gesellschaftlichen Problemen nur in Islam zu finden ist, ist unter allen wo immer sich befindenden islamistischen Parteien verbreitet. Die Mehrheit der islamischen Fundamentalisten missbilligt den Gedanken der Existenz einer freien menschlichen Vernunft sowie jede auf die europäische Aufklärung zurückgehende Ethik. Die Vorstellung vom Menschen als ein autonomes Individuum wird nicht akzeptiert. Stattdessen vertreten die Fundamentalisten den Vorrang des Gemeinwohls, des öffentlichen Interesses. Aus diesem Grund bauen Islamisten in Konkurrenz zum Staat soziale Netzwerke und Selbsthilfeorganisationen auf und verschaffen sich so politische Legitimation und Loyalität. Sie kritisieren die aus dem Westen importierte Modernisierung als Gefährdung der eigenen kulturellen Identität, die nur durch die Aufrichtung eines islamischen Staates zu retten ist, in dem das offenbarte Gesetz des Islam und der Sharia befolgt wird. Er stellt einen Gegensatz zu dem modernen Nationalstaat dar, da der Staat und die Politik unter den Geboten des Koran stehen. Nach den Worten der sunnitischen Denkers Abu l-A’la al-Maududi „ist es ihr Ziel, die Souveränität des Volkes, wie sie sich in der parlamentarischen Gesetzgebung manifestiert, durch die »Souveränität Gottes« zu ersetzen, die in vollkommener und endgültiger Form in der Scharia offenbart worden ist. Es wird also die einzig mögliche Alternative aufgestellt, dass Religion und Politik eine untrennbare Einheit zu bilden haben, die sie nur in der Einrichtung eines islamischen Staates zum Ausdruck kommen konnte. Die große Sprengkraft entfaltet der Islamismus nach Ulfkotte in der Form von Oppositionsideologie. In solchen Fällen verstehen sich die Islamisten als Sammelbecken für Unzufriedene und Sozialbenachteiligte und wollen diese eine politische Stimme gegen den gottlosen Regierungen oder den Feinden des Islams geben. Die Ursprünge dieser Ideologie sind noch in den 20er Jahre bzw. der Doktrin der Muslimbruderschaft zu finden, die überwiegend gegen modernistische Tendenzen und der Kolonialmacht gerichtet war. Das Motto „Weder Osten noch Westen“, das die Muslimbrüder als erste formulierten, wurde zum Slogan muslimischer Radikaler in der gesamten muslimischen Welt. Den Muslimbrüdern gelang es durch verschiedene Arten von Publikationen und durch „Missionäre“, ihre Doktrinen in der gesamten islamischen Welt und darüber hinaus zu verbreiten. Obwohl die Anwendung von Zwang zur Durchsetzung bestimmter religiöser Vorstellung von einer Mehrzahl von Muslimen abgelehnt wird, finden sich in der islamischen Religionsgeschichte immer wieder radikale Reformer und Bewegungen, die ihrer bestimmten religiösen Vorstellung und Lehrsätze ihrer Umwelt mit Gewalt aufzuzwingen versuchten. Die Radikalisierung des islamischen Fundamentalismus begann innerhalb der Muslimbruderschaft und innerhalb deren Anhänger in der gesamten muslimischen Welt in den 60er Jahren, was überwiegend durch Nassers Verfolgungspolitik gegenüber der Muslimbrüder beeinflusst wurde. Sie waren bis Mitte der neunziger Jahre die älteste und sowohl wichtigste der militant islamistischen Gruppen . Später dienten sie als Vorbild für zahlreiche islamistischen Terrorgruppen der Welt. Nicht zuletzt ist hier auf al–Qaida und Bin Ladin zu verweisen, dessen antiamerikanische und antiisraelische Haltung stark von den Qutbs Werken und Ideen beeinflusst wurde. In einer Videobotschaft nannte er den Krieg, den er gegen den Westen führt- „Krieg zwischen Iman (Glauben) und Kufr (Unglauben)“. Worte, die eigentlich aus einem Qutbs Buch stammen.
2.3. Religiös motivierter Terrorismus Seit dem 11. September wird im Zusammenhang mit dem Netzwerk Osama bin Ladens oft auch vom transnationalen Terrorismus gesprochen, um den Charakter des grenzüberschreitenden „globalen Anspruches“ sowie dessen Ausdehnung (supranationale terroristische Verbünde) zu betonen. Anfangs war die Renaissance des religiösen Terrorismus in seiner zeitgenössischen Form eng mit der islamischen Revolution im Iran verbunden, zeichnete sich bereits ein Jahrzehnt später ab, dass keine der großen Weltreligionen von sich behaupten kann, gegen die Mischung aus Glauben, Fanatismus und Gewalttätigkeit immun zu sein . Rapoport hebt hervor, dass bis zum 19. Jahrhundert und dem Auftauchen von Nationalismus, Anarchismus und der marxistischen Ideologie, die Religion die einzige, akzeptierte Legitimation für „Terror“ gewesen sei . Auch Hoffman betont die lange, gemeinsame Geschichte von Religion und Terrorismus ; vor mehr als 2000 Jahren wurden die ersten Taten dessen, was heute als „Terrorismus“ bezeichnet wird, von religiösen Fanatikern begangen . Tibi geht sogar soweit, diese Kontinuität der Gewalt in den Religionen in einer Parallelisierung der Kreuzzüge mit den jüngeren Ereignissen zusammenzubringen: Gegen Ende des 20. Jahrhunderts haben die Serben, so Tibi, auf dem Balkan einen brutalen „Kreuzzug“ gegen den Islam geführt. Die als „Djihad“ verstandene Rache der Kosovo-Albaner ließ nicht lange auf sich warten . „Djihad“ wird oft mit „heiliger Krieg“ übersetzt , was jedoch von Tibi kritisiert wird, da die „individuelle Gewalt“ nicht durch den Koran erlaubt sei. Er verwendet stattdessen die Übersetzung „Anstrengung zur Verbreitung des Islam gegen die Ungläubigen“ . Der religiöse Fundamentalismus, der den Hauptnährboden für den zeitgenössischen religiösen Terrorismus bildet, ist von einem Hauptmotiv gekennzeichnet: die Abwehr des globalen Modernisierungs- und Säkularisierungstrends und der Schutz bzw. die Rückkehr zu einer ausschließlich auf religiösen Grundlagen beruhenden Gemeinschaftsform. Innerhalb der islamischen Welt nimmt der religiöse Fundamentalismus die Gestalt einer weltpolitischen Ideologie an, deren Ordnungsvorstellungen die Illusion einer von einer islamischen Weltmacht getragenen Weltordnung – eine pax islamica als Ersatz für eine pax americana – enthalten. Tibi deutet in diesem Sinne den Fundamentalismus als „Politisierung der Religion“ und als Ideologie der Konfrontation – im Gegensatz zum Dialog – im Zeitalter der Zivilisationskonflikte . Vor allem seit dem 11. September 2001 wird der Begriff „religiöser Fundamentalismus“ mit dem Begriff des „religiös motivierten Terrorismus“ eng Verbindung gebracht und oft sogar gleich gestellt. Jedoch ist es angebracht zu betonen, dass die weit verbreitete Vorstellung vom Islam als eine fundamentalistisch- terroristische Bedrohung für den Westen falsch und sogar gefährlich ist. Es ist aber Tatsache, dass die gegenwärtig agierenden zahlreichen militant islamistischen Gruppierungen heute eine ernsthafte Bedrohung bestehender sowohl staatlicher als auch internationaler Ordnunkstrukturen darstellen. Dies wird nicht nur durch die neuesten Entwicklungen auf der internationalen Bühne wie z. B. die Terroranschläge in Amerika, Russland, Irak, sondern auch durch die ständige Herausforderung bestehender nationalstaatlicher politischer Verhältnisse in Länder wie Ägypten, Algerien u.a. bekräftigt.
3. Der islamische Fundamentalismus als Herausforderung bestehender Ordnungsstrukturen: Fallbeispiel Ägypten Die Politisierung des Islams durch islamistischen Organisationen ist in Ägypten durch eine lange Tradition geprägt. Seit einigen Jahrzehnten sind die politischen und sozialen Verhältnisse in im Lande so angespannt, dass es ständig zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen militanten und militärisch organisierten islamistischen Gruppierungen und der Staatsmacht. Die Ursachen dieser Auseinandersetzungen liegen weit zurück in der Geschichte, als in den 20er Jahren eine der bedeutendsten und bis heute in mehr als 70 Staaten aktive islamisch- fundamentalistische Organisation- die Muslimbruderschaft gegründet wurde. Sie hat in Laufe der Jahre nicht nur in Ägypten an Gewicht gewonnen, sondern reicht gegenwärtig ihr Einfluss und Präsenz weit über die Grenzen des Landes- die Muslimbruderschaft war die Initiatorin für den Aufbau der Hamas in Palästina, beteiligte sich am Afghanistan-Krieg mit hunderten von Männern und regiert heute mit der National Islamic Front (NIF) in Sudan. Die Muslimbruderschaft und die von ihr hervorgekommenen militanten islamistischen Gruppierungen sind somit einen der besten Beispiele für fundamentalistischen Organisationen, die nicht nur staatlichen sondern auch internationalen Ordnungsstrukturen in Frage stellen und sogar gezielt bekämpfen.
3.1. Die Gründung der Muslimbruderschaft und die Radikalisierung des Islamismus in Ägypten Von dieser Internationalität, die heute eine Tatsache ist, war die Muslimbruderschaft bei ihrer Gründung weit entfernt. In den Anfangsjahren richtete sich ihre Arbeit auf soziale und caritative Tätigkeiten in den armen Vierteln von Kairo und auf den Dörfern, wodurch sie die Unterstützung von großen Teilen der Landbevölkerung gewinnen konnte. Obwohl zuerst der Schwerpunkt der Muslimbruderschaft eher bei sozialen Aktivitäten lag, vertrat sie bereits in Grundzügen jenes Konzept des Islam als „allumfassendes System“ wie es später alle islamisch- fundamentalistischen Bewegungen in Ägypten vertraten. Die politischen Forderungen von Hasan al-Banna, die er an eine Reihe von arabischen Staatsoberhäuptern schickte, waren die Beendigung des Parteiwesens, islamische Reform des Rechts, kulturelle Zensurmaßnahmen, Wahrung islamischer Moralvorstellungen, Zins- und Profitverbot, Einkommensumverteilung. Um gegen die britische Protektoratsherrschaft und für einen unabhängigen islamischen Staat zu kämpfen gründete die Muslimbruderschaft 1942 einen bewaffneten Flügel. Die Repression gegen die Organisation verstärkte sich darauf hin in der zweiten Hälfte der 40er Jahre, so dass 1948 sie weitgehend zerschlagen und in den Untergrund gedrängt wurde. Ihr Gründer- Hasan al-Banna wurde dann 1949 hingerichtet und seine Anhänger zum Märtyrer erklärt. In den 60er Jahren kommt das Regime des sozialistisch orientierten nationalisten Nasser. Doch die Unzufriedenheit der ägyptischen Gesellschaft breitete sich immer weiter; was zu Massenstreiks und Hungeraufstände führte. Auf der Suche nach einer radikalen Lösung ihrer Probleme wandten sich Millionen Menschen immer wieder den Islamisten zu. Die Muslimbruderschaft bekam mehr und mehr Zulauf von der unzufriedenen und benachteiligten Bevölkerung. Durch die bereits aufgebauten sozialen Netzwerke verbreitete sie ihre Oppositionsvorstellung, dass die Lösung aller gegenwärtigen und zukünftigen Probleme im Islam zu finden ist. Am 26. Oktober 1954 kommt es zum Bruch zwischen Muslim-Bruderschaft und den Machthabern, als Nasser während einer Rede in Alexandria von einem Mitglied der Muslimbrüder angeschossen wird. Die Muslimbruderschaft wird in der Folge zerschlagen und wieder in den Untergrund gedrängt. Tausende ihrer Gefährten drängen sich in den Gefängnissen, wo sich auch Sayyed Qutb und Yasir Arafat befanden. Mit der Zerschlagung der Muslim-Bruderschaft gelang es aber nicht auch ihr Gedankengut auszulöschen. Im Untergrund und im Exil in den Golfstaaten existierten die Muslimbrüder weiter. Die im Gefängnis geschriebenen Texte von Qutb wurden zu einer wichtigen theoretischen Grundlage für spätere islamistische Gruppierungen in Ägypten. Sein Werk "Wegzeichen", das in späteren Jahren u.a auch in Englich, Türkisch, Urdu, Malayisch und Persich übersetzt wurde, stellt heute eines der bedeutendsten Werke des islamischen Fundamentalismus dar. Sayyed Qutb ist jedoch nicht nur der ideologische Vordenker des militanten Islamischen Fundamentalismus weit über Ägypten hinaus, sondern auch einer jener Vertreter des Islamismus, der traditionelle Vorurteile gegen Juden mit Vorstellungen des modernen Antisemitismus Europas vermischte und so einer der Vordenker eines modernen Antijudaismus in Ägypten wurde. Nach dem Tod Nassers im Jahre 1970 übernahm mit Sadat nicht nur ein neuer Präsident die Macht in Ägypten, sondern auch eine neue Politik, die nach Westen geöffnet wurde. Die vorsichtige Etablierung eines Mehrparteiensystems und die Liberalisierung des politischen Systems dienten jedoch v.a. der Sicherung der Regierungsmacht und nicht einer wirklichen Öffnung des politischen Systems. Sadat versuchte sich so weit wie möglich von seinem Übermächtigen Vorgänger zu distanzieren, indem er die Moslembrüder als Gegengewicht zu den noch immer starken Sozialisten förderte. Die reformistischen Kräfte der Muslimbruderschaft konnten sich um die Zeitschrift ad-DaŽwa sammeln, welche ab 1976 in einer erneuerten Version unter der Ägide führender Muslimbrüder erschien. In dieser Zeit entstand ein radikalerer politischer Islam, der die Moslembruderschaft als viel zu zaghaft kritisierte. In der Folge spalteten sich von der Moslembruderschaft die extrem gewaltorientierten Organisationen Al-Gama'a al-Islamiyya (Islamische Gemeinschaft) und Djihad (Heiliger Krieg) ab, die das noch von Qutb propagierte Ziel verfolgten, mit gewaltsame Mitteln die Regierung zu stürzen und islamischen Staat zu errichten. Gestützt auf diese konspirativen und stellvertretend für die Massen agierenden Ideen verübte die Jihad- Gruppe im Jahr 1981 ein tödliches Attentat auf den Präsidenten Sadat. Eine Schlüsselfigur bei diesem Attentat war Ayman Zahwahri, Gründungsmitglied der al-Quaida Terrororganisation und Lehrmeister von Osama bin-Laden. Der von der militanten Gruppe erwartete große Volksaufstand, mit dem die Macht im Ägypten übernommen werden sollte, blieb weitgehend aus, mit der Ausnahme von einigen Städten, die von der ägyptischen Armee schnell zurückerobert wurden. Nach dem Attentat auf Sadat übernahm sein Vizepräsident Hosni Mubarak die Mach überraschend problemlos. Er reagierte mit harten Repressionsmaßnahmen auf die Kollaborateure und mit zahlreichen Verhaftungen. Viele Jihad- Angehörige wurden verurteilt. Woher sie und dessen Anhänger kommen, wird in einem Prozess gegen 300 militante Islamisten deutlich: "Das Milieu, das den fruchtbarsten Nährboden für militante Islamisten bietet, ist die in den wild wuchernden Siedlungen am Rande der großen Städte lebende Altersgruppe der 20-25jährigen. Sie sind im Sinne des Wortes marginalisierte Personen: erstens durch die geographische Lage ihres Lebensraums in einer Zwischenposition, die nicht das Land ist, das sie verlassen haben, aber auch noch nicht die Stadt, in deren Herz sie nicht vordringen. Sie wind weiter marginalisiert weil sie in ein kulturelles und soziales Loch fallen. Sie können nicht mehr auf die traditionellen Strukturen des Dorfes zurückgreifen, die ihnen weder eine Existenzgrundlage noch soziale Integration bieten können."
3.2. Islamischer Fundamentalismus im Untergrund und im Parlament Nach den harten Repressionsmaßnahmen versuchte Mubarak schon bald gegen militanten Islamisten mit einer Strategie der Integration in den Machtapparat zu antworten. Der Muslimbruderschaft wurde zwar immer noch nicht erlaubt eine Partei zu gründen und sich über eine solche legal an Parlamentswahlen zu beteiligen, die Unterwanderung der Arbeiterpartei durch die reformistischen Muslimbrüder brachte aber den selben Effekt und wurde von der Regierung geduldet. Die islamistischen Abgeordneten der Arbeiterpartei kamen durch den ständigen Wahlbetrug der Regierung zwar ebenso wenig zu realem Einfluss wie irgend eine andere Oppositionspartei, aber sie schafften sich im Parlament eine Bühne für ihren Kampf um die Einführung der Scharia auf legalem Wege. Der Muslimbruderschaft gelang es außerdem eine Reihe von Gewerkschaften unter ihre Kontrolle zu bekommen. Seit 1992 werden auch die Gewerkschaften und Berufsvereinigungen der Ärzte, Ingenieure, Rechtsanwälte und Apotheker von Islamisten dominiert. Gegenwärtig gelten die Muslimbrüder als die bedeutendste Oppositionsgruppe in Ägypten. Sie ist als politische Bewegung/Partei zwar nicht anerkannt, zu ihr bekennen sich aber mindestens 16 der insgesamt 454 Mitglieder des ägyptischen Parlaments, die als sog. „Unabhängige“ agieren. Über lange Jahre hat die Organisation immer wieder bewiesen, dass sie trotz eines Verbots und entsprechender Verfolgung durch die Sicherheitsorgane des ägyptischen Staates in der Lage ist, eine recht weit verzweigte Struktur aufrechtzuerhalten und ihre Mitglieder für eine Rege politische Arbeit vor allem an den Universitäten und im Umfeld der zahlreichen Moscheengemeiden zu motivieren. Jedoch gibt es in dieser politischen Bewegung auch Mitglieder, deren Ansatz zur Realisierung der Zielsetzungen der Bewegung erheblich unterscheiden. Der Einfluss der militanten islamistischen Gruppen Al-Gama'a al-Islamiyya und Djihad wuchst unter der Regierung Mubarak weiter. Die Ursachen dafür sind in den von Mubarak eingeleiteten Öffnung der Wirtschaft und der Wegfall der staatlichen Fürsorge zu suchen, die zur Frustration vieler Jugendlicher führten, da sie sich den neuen Verhältnissen nicht anpassen konnten. In dieses politische und wirtschaftliche Vakuum stießen auch die Rückkehrer aus dem Afghanistan-Krieg. Es ergab sich ein explosives Gemisch aus mangelnder Zukunftsperspektive, Bereitschaft zu Gewalttätigkeit und einer dazu passenden Ideologie. Geleitet von den Afghanen organisierten sich die beiden Gruppen in hochaktiven Zellen und setzen ihren Guerillakampf weiter ein. Diese leisteten neben der Propagandaarbeit auch weiter vor allem soziale Arbeit unter den Ärmsten der Bevölkerung. Fundamentalistische Ideen, die weiterhin Zugehör in der Bevölkerung fanden, wurden durch verschiedene Prediger, teils auch mittels Audiokassetten verbreitet. Diese Rückkehr zur idealisierten islamischen Urgemeinde mit gewalttätigen Mitteln fanden nicht nur in Ägypten, sondern auch im Libanon (Hizbollah), Sudan (National Islamic Front), Algerien (Front Islamique du Salut), Palästina (Hamas) und weiteren Ländern großen Anklang bei der unterprivilegierten Bevölkerung und beeinflussten sich gegenseitig. Viele von den Angehörigen der Führungsschichten dieser Gruppen hatten gemeinsam in Afghanistan gekämpft und setzten diesen Kampf in ihrer Heimat fort. Nachdem es Mubarak in den ersten Jahren gelang die Lage durch die parallele Strategie der Repression und Integration zu beruhigen, eskalieren die Kämpfe spätestens seit 1992 wieder. Seitdem haben sich die Auseinandersetzungen zwischen den militanten islamistischen Organisationen und den ägyptischen Sicherheitskräften intensiviert. Durch Attentate auf Repräsentanten der Regierung, Vertreter der Sicherheitskräfte und Touristen sowie Bombenanschläge auf öffentliche Einrichtungen erstreben sie bis heute eine Destabilisierung der Regierung, um auf diesem Weg deren innen- und außenpolitische Legitimität zu Untergraben. Der durch den islamistischen Terrorismus herausgeforderte Staat reagiert stets mit großer Härte- landesweiten Razzien, Verstoße gegen die Menschenrechte, Schusswechsel mit meist zahlreichen Verletzten und Toten, Massenverhaftungen und Militärtribunale. Diese Strategie trägt jedoch zweifellos zu einer Eskalation der Auseinandersetzungen und kaum zu deren Beilegung bei, da sie auch massiv unbeteiligte Zivilisten trifft. Die Terroranschläge gegen Politiker und Polizisten bzw. Militärs erwiesen sich jedoch als zu schwach, um die Regierung wirklich zum Wanken zu bringen. Die Bevölkerung sympathisierte zwar mit den Zielen der Islamisten, letztlich aber nicht mit deren gewalttätigen Methoden. Flächendeckende Angriffe gegen den Staat waren daher nie möglich. Durch die gezielten Anschläge gegen ausländische Touristen gingen dem Staat sowie den vom Tourismus abhängigen Menschen essentielle Einnahmen verloren. Die Taktik der Islamisten, durch die Entziehung der ökonomischen Basis des Staates diesen in die Knie zu zwingen, entpuppte sich schließlich als Schuss nach hinten. Einerseits reagierte der Staat massiv und konnte die Strukturen der Terrorzellen erfolgreich zerschlagen, andererseits entzogen große Teile der Bevölkerung den Islamisten ihre Unterstützung, da sie nämlich durch die Terrorakte nicht dem Paradies auf Erden näher kamen, sondern nur noch tiefer in die wirtschaftliche Misere abrutschten. Besonders das Massaker in Luxor führte in der Folge einen Meinungsumschwung hervor, da dieser Terroranschlag gegen Touristen der gesamten Tourismussaison vernichtete. Die militanten islamistischen Gruppen sahen ein, dass ein Umsturz in Ägypten auf diese Weise nicht mehr herbeizuführen war. Mit Hilfe der alten Kämpfer aus Afghanistan, allen voran Osama bin Laden, konzentriert sich die ägyptische Terrorszene seit knapp drei Jahren auf den Kampf gegen die USA und Israel. Die Islamische Front gegen Kreuzritter und Juden, die sich im Februar 1998 (kurz nach dem Luxor-Massaker) zusammenschloss, zeichnet sich für die verheerenden Anschläge gegen die US-Botschaften in Nairobi und Dar es Salam verantwortlich. Jedoch stehen in Ägypten bewaffnete Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften weiterhin an der Tagesordnung. Die sehr umstrittene Konfliktstrategie von Mubarak von Repression mit gleichzeitiger Integration beruhigte vielleicht kurzfristig die innerpolitische Situation im Lande, langfristig könnte sie aber sehr negative Auswirkungen haben. Besonders im Hinblick auf die Muslimbruderschaft, die unter Sadat relative politische Freiheit genoss und derzeit trotz ihrer Integrationsbereitschaft und ihres Bekenntnis zu demokratische Strukturen systematisch zurückgedrängt wird, könnte sich diese Strategie als sogar gefährlich erweisen. Im Jahr 1993 änderte die Ägyptische Regierung die Wahlgesetze für Berufsvereinigungen, die der Bruderschaft als Plattform für eine politische Partizipation dienten und schränkte dadurch die Möglichkeiten politischer Partizipation drastisch ein. Dies droht, wie in der Ära Nassers bereits geschehen, zu einer Radikalisierung der seit langem auf friedlichen Mitteln setzenden Muslimbruderschaft. Mit einer Mitgliederzahl von etwa 100.000 und weit mehr Sympathisanten zählt diese zu den bedeutendsten politischen und gesellschaftlichen Kräften des Landes. Eine Radikalisierung der Bruderschaft hätte daher verheerende Auswirkungen auf den bestehenden politischen Ordnungsstrukturen in Ägypten und zweifellos auch auf den politischen Verhältnissen im Region.
III. Schlussfolgerung Zerrissen zwischen den Traditionalismus und die Modernität befindet sich die islamische Welt heute in einer Identitätskrise. In derer Folge ist besonders seit Anfang der 70er Jahre eine Mobilisierung religiöser Traditionen und der Aufstieg fundamentalistischer Organisationen zu beobachten. Der islamische Fundamentalismus, der die Religion als politische Ideologie mit revolutionärer Stossrichtung instrumentalisiert, bietet den Islam als eine alle Bereiche übergreifende Alternative an, in der die Religion, Kultur und Politik untrennbar sind. Er hat eine ausgesprochen antiwestliche Rhetorik, richtet sich gegen die nach westlichem Muster organisierten Regierungen im eigenen Land. So wie in den meisten von Einheitsparteien dominierten Systemen der arabischislamischen Welt fanden auch in Ägypten islamistische Bewegungen und Gruppierungen genug Nährboden und Unterstützung, um sich zu einer starken, oft staatlich geduldeten oder sogar geförderten Opposition zu entwickeln. Islamisch- fundamentalistischer Bewegungen gelang es die Lücken zu füllen, die durch den Konflikt zwischen alte Traditionen und Moderne, durch das Versagen der jeweiligen Regierungen und durch die Urbanisierungsprobleme entstanden sind. Der Verlust der politischen Legitimität nach dem Scheitern der postkolonialen Entwicklungsprojekte war bereits Mitte der 70er Jahre zum Hauptproblem insbesondere der republikanischen Führungen in der arabischen Welt geworden. Einerseits versuchten sie durch die Tolerierung islamistischer Opposition die extremen Strömungen im säkular-politischen Spektrum in Schach zu halten, anderseits versuchten die Regimes somit auch im Hinblick auf die eigene Legitimität nicht als un- oder gar antireligiös zu erscheinen. Dieses große Dilemma aller Regierungen innerhalb der islamischen Welt wird am Baispiel Ägypten besonders deutlich. Das Fehlen an effektiven Möglichkeiten zur Bekämpfung fundamentalistischer Gruppen stellt heute eine ernsthafte Herausforderung staatlicher Ordnungsstrukturen dar. Die beiden meist verwendeten Alternativen Repression und/ oder Integration in dem politischen Leben mögen vielleicht kurzfristig erfolgreich sein, langfristig jedoch eher mit negativen Auswirkungen. Es ist kein Geheimnis, dass wo Fundamentalisten mit Repression von der Partizipation ausgeschlossen werden, wächst zugleich die Gewaltbereitschaft. Die Folgen solcher Maßnahmen in Länder wie Ägypten, wo die Anhängerschaft fundamentalistischer Bewegungen besonders groß ist, wären und sind eher konfliktstiftend als stabilisierend. Wären dann eine stärkere Integration und Erweiterung der Partizipationsmöglichkeiten die Lösung? Beim Fehlen einer entsprechenden und nachhaltigen sozialen und Bildungspolitik, eher ein Luxus für viele der wirtschaftlich unterentwickelten Länder im arabischen Raum, würde dies eher grünes Licht für fundamentalistische Bewegungen mit Anspruch auf die Macht bedeuten.
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