ANSATZE UND MOGLICHKEITEN VON PRAVENTIVE ODER FRIEDLICHE BEARBEITUNG VON ETHNOPOLITISCHEN KONFLIKTE Печат
Автор Elena Nikolova - Freie Universitat Berlin   
Петък, 01 Октомври 2004 03:03

ANSÄTZE UND MÖGLICHKEITEN VON PRÄVENTIVE ODER FRIEDLICHE BEARBEITUNG VON ETHNOPOLITISCHEN KONFLIKTEN

Einleitung
Auf der internationalen Ebene herrscht eine weitgehende Einigkeit darüber, dass die hohe Zahl innerstaatlicher, gewaltsam ausgetragener Konflikte zu den zentralen Problemen Jahrhunderts gehört. Im Verlauf der Geschichte sind Millionen Menschen getötet, vertrieben und ihrer Lebenschancen beraubt worden. Gewaltsame Konflikte haben die Früchte langjähriger Entwicklungsarbeit in kürzester Zeit vernichtet und den betroffenen Ländern ein schweres Erbe aufgebürdet. Selbst wenn es gelungen ist, Waffenstillstände zu erreichen, wurden viele Konflikte nur eingefroren und stellen ein zentrales Hindernis für jegliche Entwicklung dar.


In der vorliegenden Arbeit wird die Frage erörtert, welche Ansätze und Möglichkeiten im Rahmen der Internationalen Beziehungen bestehen, um destruktive ethnopolitische Konfliktlagen präventiv oder friedlich meistern zu können. Wobei jene Konflikte als ethnopolitisch verstanden werden sollen, in denen sich zumindest für die Akteure einer Seite die Zugehörigkeit zu den Konfliktparteien aus ethnischen (bzw. sprachlichen oder religiösen) Unterschieden, ergibt. Diese Beschreibung meint nicht, dass die Ethnizität als solche den Konflikt konstituiert; die Ethnizität konstituiert lediglich eine besondere, wenn auch höchst einflussreiche Form der Vergesellschaftung. Erst die Mobilisierung der ethnischen Zugehörigkeit für politische Zwecke, insbesondere in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche, wenn es um die (Neu-) Verteilung von existentiellen Lebenschancen geht, macht sie zu einem Schlüsselmerkmal für das Selbstverständnis der Konfliktparteien. Angesichts der zu beobachtenden Machtlosigkeit mit der die internationale Staatengemeinschaft auf die Herausforderungen ethnopolitischer Konflikte reagiert, muss vor allem der Aufgabe nachgegangen werden, welche Mittel und Wege zur Lösung prinzipiell existieren und wo die Stärken und Schwächen der einzelnen diskutierten Ansätze zur friedlichen Intervention Dritter Parteien liegen. Im Folgenden wird ferner der Versuch unternommen die zur Erklärung der Eskalation ethnopolitischer Konflikte notwendigen Eigenschaften und Eigenheiten kurz zusammenzustellen. Im Anschluss daran finden sich kritische Reflexionen über die politikstrategisch sinnvollsten friedlichen Einmischungsmaßnahmen wieder, die erörtern, ob und inwieweit eine eskalierende Konfliktdynamik von dritter Seite überhaupt präventiv beeinflusst werden kann. Dazu gehört, dass eine langfristig erfolgreiche Friedensstrategie zur konstruktiven Gewaltprävention dieser schwierigen Konfliktart ihrer zunehmenden Komplexität gewachsen sein muss, um geeignete Lösungen bzw. Regelungen
der hierfür notwendigen gesellschaftlichen Transformation zur Verfügung stellen zu können. Von daher sind reine Akteure der Staatenwelt, wie z.B. Regierungen oder deren Vertreter: die Diplomaten mit dieser Aufgaben allein weitestgehend überfordert. Ihnen sind die Hände in zweierlei Hinsicht gebunden. Zum einen können staatliche Akteure erst dann aktiv handeln, wenn ein akuter Konflikt auf der hocheskalierten Ebene eines sog. Anerkennungskonflikts angekommen ist, und zum anderen sind ihre Gestaltungsspielräume in der Regel auf die Ebene der politischen Führungen beschränkt. Die Bearbeitung der tiefer liegenden Ursachen und Aspekte ethnopolitischer Auseinandersetzungen ist demgegenüber eher eine Aufgabe für Akteure der Gesellschaftswelt. Dazu gehören alle Personen und Institutionen, die Einfluss auf die Art und Weise der ethnopolitischen Identitäts- und Gruppenbildung haben.
Es lässt sich feststellen, dass die neuen Konflikte zunehmend unter den Gesichtspunkten von Nationalismus, Ethnizität, Ethno-Religiosität, religiöser Identitäten, Stammes- und Clanstrukturen und damit verbundener Erklärungsmuster wahrgenommen werden. Das Ende der Sowjetunion, die gewaltsame Erosion Jugoslawiens, die Kriege in Bosnien-Herzegovina (1992-95), im Kosovo (1998-99) oder in Tschetschenien (1994-95, 1998-99) sowie, ganz grundsätzlich, die fragilen Strukturen neuer Staaten in Ost- und Südosteuropa, im Kaukasus und in Zentralasien setzten die Problematik ethno-nationaler Konflikte erneut auf die internationale Tagesordnung.

1. Begrifflichkeiten

Konfliktdefinition
Konflikte sind ein selbstverständlicher Bestandteil der Weltpolitik, wie auch der Politik innerhalb der einzelnen Gesellschaften und Staaten. Sie sind eine unvermeidbare und für den sozialen Wandel notwendige Begleiterscheinung des Zusammenlebens in allen Gesellschaften. Sie sind ein Ausdruck von Spannungen und Unvereinbarkeiten zwischen verschiedenen, voneinander abhängigen Parteien im Hinblick auf ihre jeweiligen Bedürfnisse, Interessen und Wertvorstellungen. Von einem Konflikt kann gesprochen werden, wenn zwischen zwei oder mehr Parteien - wobei es sich um Personen, Gruppen oder Staaten handeln kann - eine Situation eintritt, in der mindestens eine Partei einen Gegensatz in Bezug auf ihre Interessen, Bedürfnisse oder Ziele wahrnimmt und sich bei der Realisierung derselben durch die andere(n) Partei(en) beeinträchtigt fühlt.

Nach Dicke (Dicke, Klaus, 1995: Konfliktprävention durch Minderheitenschutz? Möglichkeiten und Grenzen multilateraler und innerstaatlicher Rechtsgarantien, in: Ropers, Norbert/Debiel, Tobias (Hrsg.): Friedliche Konfliktbearbeitung in der Staaten- und Gesellschaftswelt, Bonn, S. 233-256. ) versteht man unter dem Begriffspaar ethnischer bzw. ethnonationaler Konflikt Interessengegensätze, die sich auf Autonomierechte bzw. Forderungen ethnisch, sprachlich, kulturell oder religiös unterschiedener Bevölkerungsgruppen eines oder mehrerer Staaten beziehen. Der ethnische, sprachliche, kulturelle oder religiöse Faktor an sich ist für das Verständnis ethnopolitischer Konflikte allerdings nur von begrenzter Bedeutung, denn nicht diese Kriterien beschreiben den Konflikt, vielmehr werden Konfliktgegenstände nachgewiesen, die wenig mit den ethnischen Merkmalen der streitenden Parteien zu tun haben. Deshalb wird der Begriff ethnopolitischer Konflikt gegenüber den in der Literatur vielfach verwendeten Termini "ethnischer Konflikt" oder "ethnonationaler Konflikt" vorgezogen, "da in der Regel erst die Politisierung ethnischer Merkmale ihre Schlüsselrolle im Konfliktprozess begründet."

Im politischen Bereich hat sich der Begriff Krisenprävention als ein Schlüsselbegriff durchgesetzt, der sowohl die Konflikt- wie die Friedensterminologie umfasst. Mit ihm soll vor allem die angestrebte Wirkung der entsprechenden Maßnahmen hervorgehoben werden. Es werden vorrangig die Begriffe Krisenprävention und Konfliktbearbeitung benutzt. Dabei handelt es sich um zwei nach ihren Ansatzpunkten und ihrer Reichweite unterschiedliche, sich jedoch überschneidende und ergänzende Formen der Einflussnahme.
Krisenprävention umfasst frühzeitiges, geplantes, systematisches und kohärentes Handeln auf verschiedenen Ebenen von Staat und Gesellschaft zur Verhinderung gewaltsamer Konflikte. Maßnahmen mit krisenpräventivem Charakter zielen darauf ab, vor, während oder nach gewaltsam ausgetragenen Konflikten das Potenzial für einen gewaltsamen Konfliktaustrag zu reduzieren und den Aufbau von Institutionen, Strukturen und „Kulturen“ zur friedlichen Konfliktaustragung zu fördern.
Konfliktbearbeitung ist der Versuch, regulierend, Gewalt verhindernd und beendigend auf die Art und Weise der Konfliktaustragung einzuwirken. Sie zielt auf die Herbeiführung konstruktiver Lösungen, von denen alle Beteiligten profitieren können.

2. Ethnopolitische Konflikte
Ethnische Gruppen werden als psychologische bzw. Schicksalsgemeinschaften definiert, deren Mitglieder eine unterscheidbare und fortwährende kollektive Identität teilen, die auf soziokulturellen Mustern beruht. Die Beziehungen zwischen zwei oder mehreren solcher Identitätsgruppen sind von Machtbeziehungen, vom Zugang zu Ressourcen im weitesten Sinne und von gegenseitigem Respekt geprägt. Störungen zwischen den Beziehungen liegen dann vor, wenn das Machtgefälle groß, der Zugang zu Ressourcen unter-schiedlich und die Anerkennung einseitig oder wechselseitig nicht vorhanden ist.
Die Konfliktforschung und die Analyse internationaler Politik gehen davon aus, dass es sich bei ethnischen oder religiösen Zuschreibungen von Gruppen immer auch um Konstruktionen handelt, die oft von mächtigen Eliten oder Machthabern benutzt werden, um Konflikte in eine bestimmte Richtung zu eskalieren. Schon Anfang der achtziger Jahre hatte sich in der Ethnizitätforschung durchgesetzt, Ethnizität und Nation als Konstrukte sozialer Organisationen zur Regelung von Interaktionsprozessen zu fassen. Es sind nicht die objektive, dem Wesen einer bestimmten Gruppe oder Nation zugehörende Merkmale, die ihren Charakter bestimmen, sondern Konstruktionsprozesse, die auf Selbst- und Fremdzuschreibungen beruhen. Deswegen ist auch die Grenzziehung zwischen Gruppen und der Prozess der Entscheidung zur Grenzziehung bedeutsam. Nicht unveränderliche naturgegebene Größen, gar rassistische Zuschreibungen, sondern historische Konstruktionsprozesse sind es, die für einen gegebenen Zeitraum eine Gruppe konstituieren, ehe sie sich selbst oder die Gruppenbeziehungen sie erneut verändern. „Ethnische“ Verbände wie Nationen sind demnach sozial konstituiert – davon war schon Max Weber ausgegangen – und auch veränderbar.

2.1. Strukturmerkmale
Die weit überwiegende Zahl der gegenwärtig registrierten gewaltträchtigen Konflikte sind keine klassischen internationalen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Staaten, sondern Spannungen innerhalb von Staaten zwischen rivalisierenden Gruppen bzw. zwischen diesen Gruppen und dem jeweiligen Staat. Eine Schlüsselrolle bei der Beschreibung der streitenden Gruppen spielen ethnische Kriterien, so dass diese Konflikte meist als ethnische Konflikte charakterisiert werden. Die Bezeichnung als ethnische Konflikte sollte allerdings nicht als Erklärung missverstanden werden, so als ob die Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe automatisch zu Konflikten führen würde. In der Mehrzahl aller sogenannten ethnischen Konflikte geht es vielmehr um eine ganze Reihe von gesellschaftlichen und politischen Ursachen, die sich auf komplizierte Weise mit der Ethnizität vermischt haben.
Die Kriterien, die in der Regel als Grundmerkmale von ethnischer Identität genannt werden, lassen sich sechs Elemente auflisten:

- ein gemeinsamer Name, der allerdings unter Umständen erst am Ende eines Formierungsprozesses steht (wie im Fall der bosnischen Muslime, die diesen Namen erst im Zuge der inner-jugoslawischen Auseinandersetzungen übernahmen, als die religiöse Bindung längst in den Hintergrund getreten war);

- der Mythos einer gemeinsamen Abstammung, der sich in Legenden, Symbolen und anderen Manifestationen einer mehr oder weniger heroischen Urgeschichte ausdrückt;

- eine gemeinsame Geschichte bzw. genauer eine Geschichtsschreibung, die die kollektiven Erfahrungen unter dem Gesichtspunkt ihrer gemeinschaftsbildenden Wirkungen interpretiert;

- eine gemeinsame Kultur, die sich vor allem in einer gemeinsamen Sprache ausdrückt, aber auch Faktoren wie Religion, Lebensweise, Sitten und Gebräuche, Normen und Institutionen sowie physische Merkmale umfassen kann;

- eine Verbindung mit einem bestimmten Territorium, das nicht notwendigerweise real von dieser Gruppe besiedelt sein muss, aber doch zumindest einen historischen ›Anspruch‹ auf dieses Territorium rechtfertigt;

- ein Gemeinschaftsbewusstsein, das sich zwar unter Umständen erst spät herauskristallisiert, aber den entscheidenden Schritt zur Konstituierung einer ethnischen Identität darstellt.

Die Formierung dieser Merkmale vollzieht sich in der Regel in einer konfliktreichen Auseinandersetzung mit anderen ethnischen Gruppen, in deren Verlauf sich die Grenzen und die Zusammensetzung der Gruppen selbst verändern können. Die Ethnogenese ist mithin auch ein anhaltender Prozess der Assimilation und der Differenzierung, der zu größeren oder kleineren Einheiten führen kann. In der Neuzeit wurde und wird dieser Prozess wesentlich beeinflusst durch die Nationenbildung und den Nationalismus. Die Erfindung der Nation hat vor allem dazu geführt, dass alle ethnischen Gruppen einem starken Druck ausgesetzt sind, sich selbst als Nation zu konstituieren, d.h. für sich den Anspruch auf politische Autonomie und Selbstbestimmung zu fordern. Die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, hängen insbesondere mit den zwei verschiedenen Wurzeln der Bildung von National-Staaten zusammen. Auf der einen Seite gibt es die westliche, insbesondere englische und französische Tradition der Staatsnation, in der die politische Mobilisierung und Vereinheitlichung auf der Basis der Territorialität beruhte. Auf der anderen Seite gibt es die deutsche und osteuropäische Tradition der Kulturnation, in der die politische Gemeinschaftsbildung sich primär an ethnischen Kategorien orientierte. Dieser Dualismus prägt bis heute das Selbstverständnis der allermeisten Staaten, da sie beide Traditionsstränge miteinander verknüpft haben, wenn auch in sehr unterschiedlicher Form. Als Merkmal ethnischer Konflikte kann also auch ihr asymmetrischer Charakter genannt werden. Das betrifft zunächst in der Regel schlicht den personellen Umfang der streitenden Gruppen. Die meisten Konflikte können deshalb auch als Mehrheiten-Minderheiten-Konflikte beschrieben werden. Die Konsequenz ist, daЯ die traditionellen Formen demokratischer Konfliktregulierung hier meist wenig brauchbar sind. In einem Land, in dem die Mehrheitsgruppe 60<0> <>% der Bevölkerung umfasst und die Minderheitsgruppe 40<0> <>%, kann deshalb allein mit den Mechanismen der Mehrheitsdemokratie schwer befriedet werden. Wie auch immer das Wahlsystem und die politischen Vertretungen verfasst sind, die Minderheit kann regelmäßig auf »demokratische« Weise überstimmt werden.
Es scheint wichtig zu sein, dass die oben genannten Kriterien, die in der Regel als Grundmerkmale von ethnischer Identität gelten (gemeinsame historische Erfahrungen, Mythen, religiöse Überzeugungen, eine eigene Kultur, insbesondere eine eigene Sprache) nicht als solche die gemeinsame Ethnizität ausmachen, sondern die gemeinsame Wahrnehmung, dass diese Aspekte bedeutsam sind und ihre Angehörigen von denen anderer Gruppen unterscheiden. So heißt es zugespitzt in einer ironischen Definition: Ethnische und nationale Identitäten zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Angehörigen den Irrtum einer gemeinsamen Herkunft miteinander teilen. Und hier stellt sich die Frage wie es nun zu dieser gemeinsamen Wahrnehmung kommt? Die beiden wichtigsten Einflussfaktoren sind: zum einen die Erfahrung einer gemeinsamen negativen Diskriminierung (gelegentlich allerdings auch vor dem Hintergrund gemeinsamer Erfahrung von Privilegien, die plötzlich in Frage gestellt werden) und zum anderen die gezielte Politisierung der Ethnizität durch die jeweiligen Eliten.
Die ausgeprägte Neigung zur Eskalation ist ein weiteres Merkmal ethnopolitischer Konflikte. Dies hängt mit einer Reihe von Faktoren zusammen, insbesondere aber wohl damit, dass die vorsätzliche Eskalation, d.h. das systematische Vorantreiben des Konflikts auf eine höhere Intensitätsstufe, von den Konfliktparteien als eine Methode der Konfliktbearbeitung angesehen wird. Am bekanntesten ist diese Methode, wenn Gewalt angedroht wird. Durch diese Drohung hoffen beide Seiten, die andere zum Nachgeben zu bewegen.

Wesentlich für das Selbstverständnis ethnopolitischer Gruppen sind die Erfahrungen, die sie im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Staat bzw. mit konkurrierenden Gruppen machen. Ted Robert Gurr hat in einem komplexen Kausalmodell die Antriebsfaktoren insbesondere für politisches Protestverhalten zusammengestellt. Abgesehen von den Möglichkeiten zur politischen Artikulation und von den internationalen Rahmenbedingungen unterscheidet er dabei vor allem zwei Faktoren: einerseits das Ausmaß der kollektiv empfundenen Benachteiligungen, Diskriminierungen und repressiven Maßnahmen, andererseits das Ausmaß der Gruppenkohäsion und der Gruppenidentität.

Es lassen sich drei ethnopolitischen Konfliktkonstellationen unterscheiden:
- Konflikte um die Besitzstandwahrung
Sie sind davon geprägt, dass eine Gruppe zu der Auffassung gelangt, ihre eigenen Aufwendungen für die Aufrechterhaltung des Gesamtstaates seien höher als der Nutzen, den sie aus der Gemeinschaft mit anderen ethnonationalen Gruppen ziehen könne. Das trifft vor allem auf ökonomisch besser gestellte Gruppen zu.

- Konflikte um die Überfremdungsabwehr
Hier geht es um das Bestreben einer Gruppe, die zumindest in früheren Zeiten die Mehrheit in einer Region stellte oder noch stellt, die tatsächliche oder vermeintliche Bedrohung ihrer Dominanz oder Integrität abzuwehren. Dieser Impuls richtet sich insbesondere gegen Immigranten, denen gegenüber ein vorrangiges Heimatrecht geltend gemacht wird.

Konflikte um die Assimilationsabwehr
Diese Konstellation repräsentiert die klassische Form des Minderheitenschutzes. Eine zahlenmäßig unterlegene Gruppe versucht ihre Identität gegenüber der Mehrheit zu behaupten.
In der Realität gibt es vielfache Kombinationen dieser Grundtypen. Das trifft vor allem auf länger anhaltende ethnopolitische Konflikte zu, die durch verschiedene Phasen staatlicher Ordnung gegangen sind und in denen mehrere ethnoterritoriale Konstellationen nebeneinander existieren.

2.2.Ursachen
Wenn man annimmt, dass die Unterschiedlichkeit von Menschen, dass auch Ethnizität nicht als solche automatisch schon konfliktverursachend sind - und alles andere wäre hochgradig absurd - dann stellen sich zwei Fragen: einmal muss dann erklärt werden, wodurch Konflikte denn sonst verursacht werden, und zweitens, auf welche Art sie mit ethnischen Faktoren verknüpft sind. Will man nicht einen Schematismus (z.B.: “Konflikte entstehen durch ethnische Unterschiede”) durch einen anderen ersetzen, dann werden beide Fragen nicht mit einfachen Formeln zu beantworten sein. Gewaltsame Konflikte entstehen nicht immer auf die gleiche Weise und Konfliktdynamiken laufen nicht immer nach dem gleichen Muster ab.
Grundsätzlich kann man aber davon ausgehen, dass dem Ausbruch gewaltsamer Konflikte und Kriege innerhalb von Staaten und Gesellschaften (im zwischenstaatlichen Bereich sieht alles etwas anders aus) eine Periode länger andauernden sozialen “Stresses” vorausgehen muss. Das staatliche oder gesellschaftliche Gefüge muss bereits Spannungen und Belastungen ausgesetzt sein. Wenn Staat und Ökonomie leistungsfähig sind - in dem Sinne, dass sie die Bedürfnisse und Erwartungen der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung erfüllen - und zugleich ein gewisses Maß an Gerechtigkeit und Rechtssicherheit bestehen - dann werden auch größere Unterschiede an Hautfarbe, Sprache oder Religion kaum zu sonderlichen Auseinandersetzungen führen. Falls eine Gesellschaft allerdings unter einer der denkbaren Formen sozialen oder ökonomischen “Stresses” leidet - dann gibt es einen Ansatzpunkt dafür, dass Fragmentierung und ethnische gefärbte Konflikte sich entwickeln können. Schrumpfen beispielsweise die vorhandenen wirtschaftlichen Verteilungsressourcen oder öffnet sich die Schere zwischen Erwartungen und wirtschaftlichen Möglichkeiten - dann ist eine klassische Vorbedingung für sozialen Stress bereits vorhanden. Allerdings: solche ökonomischen Schwierigkeiten allein reichen in der Regel nicht aus. Wenn allerdings eine ungerechte, evtl. auch willkürliche politische Grundstruktur dazukommt, etwa die Herrschaft einer Diktatur oder Oligarchie, findet die sonst diffuse Unzufriedenheit leichter ein Ziel. Und wenn eine solche ungerechte Herrschaft im scharfen Kampf um die knappen Ressourcen auch noch parteilich sich selbst und andere Eliten auf Kosten der Bevölkerungsmehrheit begünstigt: dann sind die wichtigsten Bedingungen für scharfe innenpolitische Konflikte vorhanden. Schließlich könnte man auch noch einen psychologischen Faktor betonen: falls nämlich solche Verhältnisse als insgesamt schlecht, aber dauerhaft empfunden werden, wird Widerstand schwieriger sein, als wenn diese Verhältnisse als potentiell veränderbar oder instabil wahrgenommen werden. Auch die Zukunftserwartungen spielen eine Rolle: wenn die Bevölkerung ohnehin mit einer düsteren Zukunft rechnet, wird sie die miserable Lage weniger stark den Herrschenden anlasten, als wenn ihre Hoffnungen auf rasche Verbesserungen massiv und immer wieder enttäuscht werden.
Dieses skizzierte Szenario gilt selbstverständlich nicht für alle denkbaren Konfliktgenesen, trägt aber für eine bedeutende Zahl doch idealtypischen Charakter. Nicht in allen Konfliktfällen werden alle hier erwähnten Faktoren eine Rolle spielen, spezifische andere mögen hinzukommen. Aber als Abziehbild eines bestimmten, häufigen Konflikttypus ist es doch brauchbar. Ein Konflikt, der sich entlang der hier vorgezeichneten Linien der Ressourcenverknappung plus ungerechter Verteilungs- und Herrschaftsstrukturen entwickelt, trägt bis zu diesem Punkt keinerlei ethnische Charakteristika. Wenn wir nun allerdings in unserem konstruierten, idealtypischen Fall annehmen, dass die fragliche Gesellschaft ethnisch nicht homogen, sondern fragmentiert ist, ändert sich das Erscheinungsbild des Konfliktes sofort. Nehmen wir zwei denkbare Fälle: einmal, dass die beschriebenen, ungerechten Machtstrukturen zufällig oder nicht zufällig von einer ethnischen oder ethnoreligiösen Minderheit dominiert sind; und zweitens, dass die Gesellschaft aus zwei annähernd gleich großen ethnischen Gruppen besteht, von der keine die Macht monopolisiert. Im ersten Fall würde der Konflikt, trotz seiner ökonomischen und politischen Ursachen, fast unvermeidlich eine ethnische Färbung und Verlaufsform annehmen: der Widerstand gegen Mangel, Armut, Ungerechtigkeit und Unterdrückung würde mit großer Wahrscheinlichkeit als Kampf gegen die herrschende Minderheit gedeutet und so eine zusätzliche, simplifizierende Rechtfertigung finden. In den Augen zahlreicher Akteure wären die Umstände gerade deshalb so negativ, weil die Herrschaft in den Händen einer Minderheit liegt, und diese deshalb kein Interesse an einer Verbesserung der Lage der Mehrheit habe. Eine solche ethnische Deutung des Konfliktes ist weder automatisch richtig noch automatisch falsch: sie muss am jeweiligen Fall konkret geprüft werden. Im zweiten Fall - einer Gliederung der Gesellschaft in zwei gleichstarke ethnische Gruppen - sind sehr unterschiedliche Verlaufsformen denkbar: einmal die Möglichkeit einer Verständigung, eines gleichberechtigten Nebeneinanders; zweitens aber ein besonders harter Verteilungskampf, in dem jede Gruppe auf Kosten der anderen ihre Interessen durchsetzen möchte. Welche dieser Varianten sich durchsetzen - oder ob es sich um eine Mischform handeln wird - hängt von einem komplexen Zusammenspiel psychologischer, historischer, sozialer, politischer und ökonomischer Faktoren ab, und kann deshalb hier nicht weiter verfolgt werden.
Der Regelfall ist, daß die Forderungen der ethnogesellschaftlichen Gruppen nach Anerkennung ihrer besonderen Rechte (die oft freilich nur den Wunsch nach einer nicht diskriminierenden Behandlung ausdrücken) der Neigung der Staaten gegenüberstehen, diese Besonderheiten zu leugnen oder zu relativieren bzw. dieses Ziel durch Assimilation oder im schlimmsten Fall durch Unterdrückungs- und Vertreibungsmaßnahmen anzustreben. Charakteristisch für die bei ethnopolitischen Konflikten verhandelten Themen ist deshalb unter anderem der Streit über die Frage, ob und inwieweit der Anspruch auf die Anerkennung ethnischer Besonderheiten überhaupt gerechtfertigt ist. In der wissenschaftlichen und publizistischen Debatte wird an dieser Stelle der Unterschied zwischen Interessen - und Identitätskonflikten betont. Während Interessenkonflikte prinzipiell durch den Ausgleich der Interessen bearbeitet werden können, durch ein mehr oder weniger von wechselseitigen Zugeständnissen, gehe es bei Identitätskonflikten um Alles-oder-Nichts. Der Anspruch auf die Anerkennung einer besonderen ethnischen Identität sei deshalb nicht verhandelbar. In der Realität sind die Interessen- und Identitätsanteile nicht ohne weiteres zu trennen. Hinzu kommt, daß es kaum einen länger dauernden Konflikt gibt, der sich nicht mit weiteren „issues“ auflädt: mit sozialstrukturellen Spannungen, Beziehungskonflikten zwischen den Repräsentanten, Meinungsverschiedenheiten darüber, was wann geschehen ist usw. Gleichwohl hat die Differenzierung zwischen dem Identitätskonflikt, bei dem es um die tiefer verwurzelten Gemeinsamkeiten ethnischer Zugehörigkeit sowie die „chosen traumas“ und „glories“ geht, und dem auf der politischen Ebene verhandelten Interessenkonflikt mehr als analytische Vorteile. Aus ihr ergibt sich auch, wie weiter unten gezeigt werden soll, eine Doppelstrategie der Konfliktbearbeitung. Neben der Frage der Anerkennung der anderen ethnischen Identitäten ist ein zweites charakteristisches Merkmal ethnopolitischer Auseinandersetzungen diejenige nach der „historischen Wahrheit“: Wer hat zuerst dieses Territorium besiedelt? Wer hat ›Schuld‹ an der Zuspitzung des Konflikts? Wer hat wem im Laufe des Konflikts was angetan? Es gibt die verbreitete Einstellung, daß wenn es gelänge, die Gegenseite und eventuelle dritte Parteien von der eigenen „historischen Wahrheit“ zu überzeugen, es dann doch leicht sein müsste, den Konflikt friedlich beizulegen. Diese Haltung wird nicht selten mit einer solchen Unerbittlichkeit verfolgt, daß sie die Konflikte oft genug weiter anheizen. Vermutlich ist es richtig, daß eine dauerhafte Versöhnung nur möglich ist, wenn an den historischen Verletzungen gearbeitet wird, was ohne eine Aneignung der gemeinsamen Vorgeschichte nicht möglich ist. Entscheidend ist dabei jedoch die Haltung: Geht es um Rechtfertigung als Konfliktstrategie oder um Aufklärung als Problemlösung? Für die Konfliktbearbeitung ergibt sich aus diesen Überlegungen zu den Konfliktgegenständen eine weitere Differenzierung des bereits oben genannten Beziehungsaspektes ethnopolitischer Auseinandersetzungen: Wie kann es gelingen, das offensichtlich ausgeprägte und tiefe Bedürfnis nach Anerkennung der je spezifischen kollektiven Identitäten so zu befriedigen, daß nicht die Anerkennung des einen als Bedrohung für den anderen erscheint? Ferner: Wie können die Ursachen und Folgen der wechselseitigen Verletzungen und Kränkungen so bearbeitet werden, daß daraus keine neue Eskalation entsteht, sondern ein Weg zur Einsicht in die wechselseitige Verstrickung?
2.3. Typologie

Anhand der jeweils verschiedenen Ursachen, Intensitäten und Auswirkungen lassen sich grob drei Typen von ethnopolitischen Konflikten unterscheiden:

(1) Konflikte einer nationalen Minderheit mit einer Titularnation
a) Forderung der Minderheit nach besserer innergesellschaftlicher Integration bei gleichzeitiger Wahrung der kulturellen Identität. Bei einer gestreuten Siedlungsstruktur der Minderheit strebt diese meist einen besseren Rechtsstatus, finanzielle Hilfen und staatliche Förderungsmaßnahmen an.

b) Bei kompakter Siedlungsstruktur werden vielfach Autonomieforderungen erhoben, die Selbstverwaltungskompetenzen oder eine föderale Struktur vorsehen.

c) Minderheiten, die in unmittelbarer Nachbarschaft zu ihrem Heimatstaat siedeln, haben auch die irredentistische Option. Allein die Unterstellung, ein Anschluss werde verfolgt, führt aber häufig schon zu Bedrohungsperzeptionen und Drohpolitik, wie z.B. die öffentlichen Verlautbarungen Moldovas über einen möglichen Anschluss an Rumänien oder wie der Streit über eine mögliche Zugehörigkeit Mazedoniens zu Griechenland oder des Kosovo zu Albanien deutlich zeigen.

d) Eine besondere Eskalation erhält ein Konflikt dieses Types, wenn eine nationale Minderheit aus dem Staatsverband austreten will und das Selbst-bestimmungsrecht geltend macht. Die Forderung nach Sezession birgt die Gefahr eines Bürger- oder zwischen staatlichen Krieges, der auch leicht einer regionalen Eskalation führen kann. Beispiele sind der Kampf der Südosseten und Abchasen um Loslösung von Georgien, der Befreiungskampf der Korsen von Frankreich, der Krieg der Tschetschenentum den Austritt aus der russländischen Föderation u.a.m.

(2) Ein zweiter Konflikttyp sind Minderheitenkonflikte infolge des Zerfalls eines Vielvölkerreiches mit der Folge der Staatenneubildung, was zumeist neue Minderheitensituationen schafft. Beispiele sind das zerfallene Jugoslawien und die ehemalige Sowjetunion. Da bei Staatsneubildungen auch die Frage gestellt werden kann, wer zum neuen "Staatsvolk" gehört, können neben klassischen Minderheitensituationen auch Staatsbürgerschaftskonflikte entstehen, wie z.B. in Lettland und Estland. Weder das Problem der Staatenlosigkeit noch die Regelung von Staatszerfall und Neubildung wurden völkerrechtlich bislang normiert, so dass hier Regelungslücken im internationalen Schutzsystem bestehen. Konflikte dieses Typs bergen ein hohes Eskalationsrisiko, da sie zum
einen "den Kern des nationalen Selbstbewusstseins und die direkte Existenz von Staaten" bedrohen und weil sie zum anderen angesichts der normativen und völkerrechtlichen Defizite willkürlich und ungeregelt ausgetragen werden, was wiederum einen Zustand der Ungewissheit zwischen Staaten oder inner-staatlich anarchische Situationen befördert.

(3) Einen dritten Typus stellen Minderheitenkonflikte in einem Vielvölkerstaat dar, z.B. Bosnien-Herzegowina. Aufgrund der meist gestreuten Siedlungsstruktur der Nationalitäten ist zwar die Idee der Selbstbestimmung virulent, kann aber meist nicht zu einer befriedigenden Regelung für alle ethnischen Gruppen führen. Bei anhaltender Diskriminierung einer nationalen Minderheit oder bei demographischen Veränderungen, die das politische Kräfteverhältnis verlagern, neigt dieser Konflikttyp am ehesten zur Eskalation in einen Bürgerkrieg, und es bedarf vielfältiger Anstrengungen, um eine gerechte Regelung für alle ethnischen Gruppen im politischen, sprachlichen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Bereich herbeizuführen.

3. Konfliktphasen

Ethnopolitische Konflikte entwickeln sich meist über einen sehr langen Zeitraum, der Jahrzehnte, ja Jahrhunderte umfassen kann. In diesem Prozess sind vielfältige subjektive und objektive Faktoren beteiligt, die sich wechselseitig beeinflussen.
Das am häufigsten benutzte Schema zur Klassifikation von Konfliktbearbeitungs-Maßnahmen orientiert sich an den Phasen im Konfliktverlauf. Für dieses Vorgehen spricht, dass die Bereitschaft und die Fähigkeiten der Parteien zur Steuerung ihres Konfliktverhaltens sich im Laufe von Eskalationsprozessen vor, während und nach einer gewaltsamen Auseinandersetzung erheblich verändern.
Hilfreich für den Prozess der Konfliktbearbeitung ist die Unterscheidung von den Konfliktphasen. Es lassen sich folgende Konfliktphasen unterscheiden:

Phase der Konfliktlatenz bis zur politischen Krise
In dieser Phase ist die Konkurrenz zwischen verschiedenen Gruppen zwar nachweisbar aber sie wird politisch ausgetragen. Doch es hat sich noch keine Polarisierung im Sinne einander ausschließender Gruppenansprüche gebildet. Die Phase der Konfliktlatenz beinhaltet
Versuche, alle Parteien durch Beobachtung der Menschenrechte oder durch die Propagierung von Minderheitenschutzregelungen zu stärken. Dies kann auch Schutzmaßnahmen für die in einem sich formierenden Konflikt unterlegene Partei bedeuten bzw. deren "Ermächtigung". Letztlich gilt es, bei allen beteiligten Parteien die Kapazitäten für eine konstruktive Konfliktbearbeitung - sei es durch die Propagierung von gewaltfreien Strategien, das Training von Verhandlungstechniken oder die Förderung einer demokratischen Medienkultur - zu erhöhen.
Konfrontative Phase
Die Polarisierung ist das Schlüsselmerkmal der zweiten, der konfrontativen Phase. Es gelingt jedoch, die Auseinandersetzungen gewaltfrei zu handhaben, sei es durch Kompromisse, das Einfrieren des Konflikts oder aus Furcht vor den Folgen einer weiteren Eskalation. Die Phase der konfrontativen Konfliktaustragung ist stark von gesprächs- und verhandlungsorientierten Interventionen geprägt. Das heißt, die intervenierenden Drittparteien bemühen sich, Verhandlungen und Treffen zwischen den Parteien zu initiieren, und sorgen durch die geeigneten Verhandlungsbedingungen (Gute Dienste) oder in der Rolle des Mediators oder Förderers für einen konstruktiven Dialog.

Phase der gewaltsamen Konfliktaustragung
Die dritte Phase wird erreicht, sobald systematisch Gewalt zum Erreichen der eigenen Ziele eingesetzt wird. Auch wenn es hier viele Zwischenstufen gibt (von vereinzelten Übergriffen bis zur organisierten Kriegsführung):Entscheidend ist, dass die Gewaltanwendung als solche eine zusätzliche Eigendynamik schafft. Menschen werden zum Opfer der Spirale von Gewalt und Gegengewalt. Die Macht verschiebt sich von den politischen zu den militärischen Führern. Je länger dieser Prozess anhält, desto größer ist die Gefahr, dass sich „Märkte der Gewalt“ und „Kulturen der Gewalt“ herausbilden, die den ursprünglichen Konflikt zunehmend überlagern.

Phase der Nachkriegskonfliktbearbeitung
Erst wenn eine längerfristig wirksame Gewaltbeendigung erreicht ist, beginnt die fünfte Phase, die Nachkriegskonfliktbearbeitung beziehungsweise Friedenskonsolidierung. Die Phase der Nachkriegs-Konfliktbearbeitung steht oftmals im Zeichen der Entwicklung einer dauerhaften und tragfähigen politischen Lösung. Darüber hinaus gilt es, die mentalen und materiellen Schäden des Krieges zu beheben. In diesem Kontext richtet sich zivile Konfliktbearbeitung auf die Gefangenen- und Flüchtlingsbetreuung, Wiederaufbau und Reintegration von Flüchtlingen.


4. Rolle Dritter Parteien

Für die Einführung und Umsetzung einer Konfliktregulierung bedarf es oftmals einer internationalen Vermittlung, da die Konfliktparteien nicht in der Lage sind, sich ohne äußere Hilfe auf eine solche Lösung zu verständigen. Lösung bedeutet in diesem Kontext die Schaffung von Spielregeln und Institutionen, innerhalb derer bestehende Konflikte zwischen Mehr- und Minderheiten auf friedliche und konstruktive Weise bearbeitet werden.
Welchen Beitrag können dazu externe Vermittler leisten? Welche Funktionen sollten sie wahrnehmen? Welche Aspekte müssen sie beachten, wenn sie eine Konfliktregulierung herbeiführen wollen? Folgende Punkte müssen Drittparteien beachten: Erstens müssen sie offenkundig über die Möglichkeiten und Grenzen des von ihnen vorgeschlagenen Modells der Konfliktregulierung Bescheid wissen. Zweitens müssen sie eine Reihe von Kontextbedingungen reflektieren, die für Erfolg oder Scheitern der Konfliktregelung ausschlaggebend sind. Drittens müssen sie ein geeignetes Vermittlungsverfahren wählen; hier wird ein lösungsorientiertes Mediationsverfahren vorgeschlagen, das sich darum bemüht, schrittweise den Konfliktparteien verschiedene Optionen und Szenarien vor Augen zu führen, um ihnen die Auswahl einer kontexttauglichen Lösung und die Kompromissbildung zu erleichtern. Viertens müssen sie die Probleme bei der Implementierung einer solchen Lösung frühzeitig erkennen und unter Umständen aktiv an dieser Phase mitwirken.
Als potentielle Drittparteien kommen drei Akteurskategorien in Frage: Zum ersten Kategorie gehören internationale Organisationen und multi-laterale Akteure wie die Vereinten Nationen, die OAS, die OSZE, die EU, der Balkan-Stabilitätspakt, ASEAN, der Golf Kooperationsrat oder die Föderation Islamischer Staaten. Zur zweiten Gruppe zählen staatliche Akteure, entweder einzeln oder aber als ad hoc-Koalition von Staaten. Dabei
agieren Großmächte wie die USA oder Russland ebenso wie Regionalmächte (z.B. Südafrika, Australien oder Indien) als Drittparteien, aber auch kleinere Staaten wie die Schweiz oder Norwegen werden nicht selten als Vermittler genutzt. Ein Beispiel für eine Staatenkoalition war die Bosnien-Kontaktgruppe (USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Russland), die aktiv um eine Lösung des Krieges in Bosnien bemüht war. Die dritte Kategorie umfasst sämtliche Typen von nicht-staatlichen Akteuren, darunter NGOs, Privatpersonen (z.B. „elder statesmen“), akademische Einrichtungen, Stiftungen, Kirchen, Gewerkschaften oder Wirtschaftsverbände.
Grundsätzlich nutzen Drittparteien verschiedene Strategien, um das Verhalten der Konfliktparteien zu beeinflussen. Auf der strategischen Ebene gibt es vor allem drei Optionen: Überzeugung (arguing), Aushandlung (bargaining) oder Zwang (coercion). Drittparteien können versuchen, die Konfliktparteien mit Argumenten zu überzeugen, ihnen beim Abschluss von Geschäften auf Gegenseitigkeit helfen oder aber im Extremfall mit der Anwendung von Zwangsmaßnahmen (Sanktionen, militärische Interventionen) drohen. Die Wahl der Strategie (und damit der eingesetzten Mittel) hängt nicht zuletzt davon ab, zu welchem Zeitpunkt sich ein externer Akteur in einen Konflikt einmischt.
Maßgeblich für jeglichen Erfolg der dritten Partei ist die Frage, ob und inwieweit es gelingt, direkte Kommunikation, offenen Austausch und Verstehens- sowie Problemlösungsprozesse zwischen den Beteiligten zu ermöglichen. Hierfür muss eine Form gefunden werden, bei der die dritte Partei zu Beginn eine sehr aktive, kanalisierende Rolle spielt, sich aber im Laufe des Prozesses zurückziehen kann. Eine andere zentrale Bedeutung für den Erfolg der dritten Partei spielt nach einer verbreiteten Auffassung ihre Neutralität. Nur wenn sie von allen Beteiligten als unparteilich akzeptiert wird, kann sie tatsächlich eine Rolle als Brückenbildnerin, als Vermittlerin spielen. Die Forschung zur Rolle und zu den Funktionen dritter Parteien in traditionellen und nicht-westlichen Gesellschaften hat ergeben, daß in vielen Fällen Insider eher akzeptiert werden als Outsider, auch wenn sie keine Äquidistanz zu den Streitenden aufweisen. Entscheidend ist deshalb hier nicht die Neutralität, sondern das Vertrauen, daß die dritte Partei sich trotz der Nähe zu einer der streitenden Parteien gleichwohl um eine Regelung zugunsten aller Beteiligten bemühen wird.

5. Interventionsmöglichkeiten
Um die Möglichkeiten, Grenzen und günstiger Zeitpunkt der Interventionsmöglichkeiten genauer bestimmen zu können, wie Krisenprävention und Konfliktbearbeitung von außen unterstützt werden können, sind folgende Fragen von maßgeblicher Bedeutung:
- Wer sind die Akteure, die Profiteure, die Betroffenen und die Verlierer des Konflikts und wer sind die potenziellen Partner bei einer Einflussnahme von außen?
- Was sind die grundlegenden Ursachen des Konflikts und was die Auslöser der gewaltsamen Eskalation? Welche Strategien haben die Akteure und andere Betroffene bei der Konfliktaustragung beziehungsweise beim Ausweichen vor dem Konflikt eingeschlagen? Welche Eigendynamiken haben sich herausgebildet und wie wirkt die externe Welt auf das Geschehen ein?
- Welche Möglichkeiten gibt es, auf diesen verschiedenen Ebenen Veränderungen zu erreichen?
- Welche Ansatzpunkte und Erfahrungen gibt es mit bereits vorhandenen Konfliktbearbeitungsbemühungen vor Ort?
- Wo und wie beeinflussen Maßnahmen der Technischen Zusammenarbeit die Konfliktsituation (positiv oder negativ)? Inwiefern bieten sie Ansatzpunkte für eine gezielte Einwirkung auf das Verhalten und die Einstellungen der Konfliktparteien sowie die zu Grunde liegende Konfliktkonstellation?
Eine erfolgversprechende Intervention braucht eine soziale, politische und administrative Basis im Zielland. Sie muss sich auf funktionierende und stabile Strukturen stützen können. Jede Intervention, die nicht nur kurzfristige und oberflächliche Ziele verfolgt braucht Infrastruktur im Zielland oder Zielgruppen, sowie einen politischen und sozialen Sektor, auf den sie sich stützen kann. Interventionen in eine Regionalkrise, gleichgültig ob imperial oder humanitär gemeint, stehen damit vor einem Dilemma. Entweder sie ergreifen Partei für eine (oder mehrere) Konfliktparteien, etwa für eine Regierung oder Oppositionsbewegung. In diesem Fall hängt der Erfolg der Intervention sehr stark davon ab, wie legitim, politisch verankert und effektiv die unterstützte Seite ist. Die Intervention selbst erfüllt eine Hilfsfunktion, aber die Hauptlast zur Erfüllung des Interventionszieles liegt bei der unterstützten politischen Kraft. Die noch unangenehmere Alternative besteht darin, sich auf keine Konfliktpartei stützen zu können oder zu wollen, sondern deren Rolle mitübernehmen zu müssen.

Die Formen und Methoden der Intervention und Konfliktbearbeitung werden in Beziehung zu den Phasen des Konfliktes bzw. mit dem Grad der Eskalation des Konfliktes gestellt.
Das charakteristische Instrument einer Intervention ist der "Conflict Resolution Workshop". Dabei handelt es sich um Workshops mit Teilnehmern aus den Konfliktgruppen, die in einer Mischung aus Lehre, Kommunikationstraining und angeleiteten Übungen zu einem offenen Dialog über ihre Interessen und Bedürfnisse geführt werden sollen. Letztlich sollen die Teilnehmer die Schritte Zuhören - Verstehen - Anerkennen durchlaufen und so einen tiefen Einblick in die Gedankenwelt der "anderen Konfliktpartei" erhalten. "Anerkennen" bedeutet in diesem Zusammenhang immer, ein Verständnis für die Haltungen der Gegenseite zu entwickeln, ohne dass dieses Zustimmung bedeuten muss. Die Respektierung der anderen Seite gilt als eine Voraussetzung für die Bereitschaft, sich auf eine gemeinsame Problemlösung einzulassen.

5.1. Diplomatie
Im Jahre 1992 war es der UN-Generalsekretär Boutros-Ghali, der in seinem Empfehlungskatalog »Agenda für den Frieden« schrieb: „Der Einsatz der Diplomatie ist dann besonders wünschenswert und effizient, wenn es darum geht, Spannungen zu vermindern, noch bevor ein Konflikt ausbricht – oder, im Konfliktfalle, rasch zu handeln, um den Konflikt einzudämmen und die ihm zugrundeliegenden Ursachen zu beseitigen.“
Ausdrücklich nannte er damals fünf Punkte:
1. vertrauensbildende Maßnahmen zwischen den streitenden Parteien;
2. Fact-Finding-Missionen, d.h. die Entsendung von Expertengruppen in ein Krisengebiet, um sich unabhängig von den streitenden Parteien ein Bild der Lage vor Ort zu machen;
3. den Aufbau eines Systems der Frühwarnung (early warning) über die mögliche Eskalation von Konflikten;
4. vorbeugende militärische Einsätze, um damit den Parteien die Gefahr einer Einmischung von außen vor Augen zu halten;
5. schließlich auch die Einrichtung von entmilitarisierten Zonen.
In aller Regel beschränkt sich die Diplomatie auf die politische Ebene, auf die Verhandlung und den Ausgleich von Interessen. Bei ethnopolitische Konflikten ist das jedoch außerordentlich schwierig ohne die „Identitäten“, ohne die historische und psycho-soziale Tiefendimension zu berücksichtigen. Praktisch bedeutet diese Einsicht, dass bei ethnischen Konflikten die so genannte Beziehungsebene mindestens ebenso, wenn nicht noch wichtiger ist als die Sachebene. Präventive Diplomatie kann sich daher nicht darauf beschränken, sachlich vernünftige Vorschläge zu machen. Sie mögen noch so vernünftig sein, über sie kann aber meist erst dann auf konstruktive Weise verhandelt werden, wenn zuvor über die wechselseitigen Beziehungserfahrungen gesprochen wird.
Hier können zwei wichtige Elemente der präventiver Diplomatie genannt werden: Durch die Veröffentlichung von Tatsachen (das sog. Fact-Finding) aus dem Spannungsfeld soll eine Dämpfung des aggressiven Verhaltens der streitenden Parteien erreicht werden. Durch »Frühwarnung« soll es möglich gemacht werden, dass Außenstehende rechtzeitige Gegenmaßnahmen ergreifen können. Auf dieser Basis soll dann das klassische Instrumentarium der Diplomatie zur Geltung kommen: die guten Dienste, um die Parteien überhaupt an einen gemeinsamen Verhandlungstisch zu bringen, sowie die diversen Formen der Einwirkung auf die einzelnen Parteien und der Vermittlung zwischen ihnen.
Patentrezepte gibt es in diesem Feld nach allen Erfahrungen nicht. Die Vereinten Nationen wären jedoch gut beraten, sich beim Ausbau der präventiven Diplomatie im engeren Sinne ein Beispiel an jener regionalen Organisation zu nehmen, die in dieser Hinsicht schon einen Schritt weiter ist: der Organisation über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Sie hat zwei Institutionen geschaffen, die sich bei der Behandlung von ethnopolitischen Konflikten, die noch nicht sehr weit eskaliert waren, sehr bewährt hat.
Mit dem Begriff der „Multi-track Diplomacy“ („viel-gleisigen Diplomatie“) wird zum Ausdruck gebracht, dass in der heutigen Welt nicht nur die offiziellen Diplomaten für die Gestaltung der internationalen Beziehungen verantwortlich sind. Die Welt hat sich geändert von einer reinen Staatenwelt zu einer Staaten- und Gesellschaftswelt. Wirtschafts- und Medienunternehmen, Religionsgemeinschaften, politische Interessengruppen, Menschenrechtsorganisationen, wissenschaftliche Einrichtungen und auch Privatpersonen, sie alle haben mittlerweile einen, wenn auch meist nur begrenzten Einfluss auf das internationale Geschehen.
Aufgrund der besonderen Merkmale ethnopolitischer Konflikte reicht die offizielle Diplomatie zu ihrer Regelung nicht aus. Auch die Akteure und die Interessen und die Möglichkeiten der „multi-track-Diplomatie“ sollten für die präventive wie die aktuelle Bearbeitung ethnischer Konflikte mobilisiert werden.
Zwei Gründe sprechen dafür. Der erste lautet: Da viele der ethnischen Konflikte so tief in den Strukturen der Gesellschaften verankert sind, ist es notwendig, ebenso breite Allianzen zu ihrer Überwindung zu schaffen. Vor allem geht es darum, den Vorrang der zivilen Kräfte einer Gesellschaft bei der Konfliktbearbeitung zu sichern. Wenn ein Konflikt nämlich einmal auf die militärische Ebene eskaliert ist, ziehen sich die zivilen Akteure meist apathisch zurück und auch die wohlmeinenden außenstehenden Vermittler konzentrieren sich nur noch auf diejenigen, die die Waffen besitzen. Deshalb ist es so wichtig, in allen Krisenregionen Bündnisse zwischen allen zu fördern, die eine zivile Konfliktlösung wollen. Das sind z. B. die lokalen Führungsgruppen und Verwaltungen, die Geschäftswelt, ein großer Teil der Bildungseliten. Den zweiten Grund wurde bei der Beschreibung von Grundmerkmalen ethnischer Konflikte genannt: Viele von ihnen können nur dadurch erfolgreich bearbeitet werden, indem auch ihre historische und psycho-soziale Tiefendimension berücksichtigt wird. Sonst werden immer erneut Widerstände und Abwehrreaktionen erzeugt, die eine vernünftige Regelung blockieren. Mit einer solchen Aufgabe der Verständigung und Versöhnung an der Basis der Gesellschaft, aber auch bei vielen einflussreichen Führungspersonen der Parteien, sind jedoch die offiziellen Diplomaten überfordert. Hier gibt es ein wichtiges Betätigungsfeld für gesellschaftliche Träger, für Kirchen und Nichtregierungsorganisationen. Leider ist die Bedeutung dieser Arbeit noch wenig ins öffentliche Bewusstsein gedrungen.
5.2. Mediation als Beitrag zur konstruktiven Gewaltprävention
Einer der Schlüsselbegriffe auf dem Weg zu einem friedlicheren ethnopolitischen Ordnungsrahmen, der für den öffentlichen Wandel der internationalen Beziehungen nach dem Ende das alten Ost-West-Konflikts steht ist derjenige der Mediation, „der friedlichen Einmischung einer dritten Partei in einen Konflikt.“ Mediation ist in der Tat ein ausgereiftes Verfahren der Konfliktbearbeitung, in dem neutrale Dritte die Konfliktbeteiligten darin unterstützen, ihren Streit einvernehmlich zu lösen. Es ist ein strukturiertes Verfahren, das sich sowohl für politische Mediation mit oft zwanzig oder mehr Parteien als auch zum Beispiel für die Scheidungsmediation mit nur zwei Parteien am Tisch eignet.

Wesentlich für Mediation ist, dass die letztendliche Entscheidungskompetenz darüber, ob ein mit Hilfe der dritten Partei zustande gekommenes Ergebnis angenommen wird oder nicht, bei den streitenden Parteien liegt.
Dem ethnopolitischen Konflikt fehlen gerade diejenigen Eigenschaften, die sich erfahrungsgemäß als besonders hilfreich bei der Bearbeitung von Konflikten durch Dritte herausgestellt haben: relative Symmetrie zwischen den Parteien, kurze und unspektakuläre Konfliktvorgeschichte, eher niedrige Intensitätsstufe der Auseinandersetzung, kulturelle Homogenität der Parteien und geringer Anteil an fundamentalen Wertedifferenzen. Der Umgang mit der Komplexität und die Berücksichtigung des spezifischen Kontextes stellen daher eine große Herausforderung dar.
Die externe Vermittlung lässt sich grundsätzlich danach differenzieren, ob sie sich eher auf die Sach- oder auf die Beziehungsebene konzentriert: Ropers (1995, 1996) unterscheidet daher zwischen einem sach- oder lösungsorientierten Mediationsverfahren und einem beziehungsorientierten Konsultationsverfahren. Ersteres zielt darauf ab, die Konfliktparteien in einem Verhandlungsprozess zu einer konkreten Regelung zu bewegen. Letzteres dient in erster Linie der Verbesserung der inter-ethnischen Beziehungen und des gegenseitigen Verständnisses (Empathie), es soll damit auch helfen, die bestehenden Asymmetrien zwischen
den Konfliktparteien (Zentrale/Region) abzubauen und für ein Klima des gegenseitigen Respekts und der grundsätzlichen Anerkennung zu sorgen. Beide Verfahren ergänzen sich; sie können dazu parallel stattfinden oder aufeinanderfolgen. Für die Konfliktregulierung ist vor allem das sach- bzw. lösungsorientierte Verfahren von Bedeutung. Dabei kommt den Drittparteien als Mediatoren in erster Linie die Aufgabe zu, den Konfliktparteien zu einer "Horizonterweiterung" zu verhelfen, sie über die Bandbreite an Lösungsmöglichkeiten zu informieren und ihnen damit verschiedene Handlungsoptionen aufzuzeigen. Ein Mediator kann zurückhaltend moderieren und sich mit den prozeduralen Aspekten des Verfahrens befassen. Er kann aktiv vermitteln und eine klare Führungsrolle im Hinblick auf die Strukturierung des Prozesses übernehmen, ohne mit eigenen Vorschlägen in die inhaltliche Diskussion einzugreifen. Der Mediator kann jedoch auch seine klare Position zum Ausdruck bringen und diese durchzusetzen versuchen. Der Mediator, die Dritte Partei kann auch Machtmittel und andere Ressourcen einsetzen, um ihren Lösungsvorstellungen Nachdruck zu verleihen – dies geschieht bei der so genannten „power-mediation“. Ein klarer Fall von „power mediation“ war zum Beispiel das Friedensabkommen für Bosnien- Herzegowina vom Dezember 1995, das nur auf Grund der direktiven Rolle der USA – und war sowohl den
Prozess als auch das Ergebnis betreffend – zustande gekommen war. Hier wurde die Freiwilligkeit der Teilnahme durch die Parteien, dieses zentrale Prinzip der meisten Mediationsverfahren, außer Kraft gesetzt.
Wie nachhaltig eine Vermittlung ist, wenn sie stark verfeindeten Parteien mit ethnopolitischem Hintergrund die Möglichkeit nimmt, eigene Lösungen zu suchen, lässt sich nur im Kontext des jeweiligen Konfliktes zeigen. Im Hinblick auf Kosovo sind Zweifel angebracht. Oft taucht die Frage auf, ob der Mediator in schwierigen Situationen überhaupt dem Ideal des neutralen Mittlers gemäß dem Prinzip der Äquidistanz zu allen Parteien folgen kann oder ob er auf Grund seiner eigenen ethischen Leitlinien nicht auch eigene Interessen verfolgen darf, die er im Verfahren auf angemessene Weise zum Ausdruck bringen soll. Gerade in Fällen, in welchen der Vermittler mit massiven Menschenrechtsverletzungen oder sogar Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch eine der Parteien konfrontiert ist (wie Richard Holbrooke im Falle Milosevics), kann Neutralität zur Komplizenschaft verkommen. Wenn ein Vermittler überhaupt bereit ist, in ethisch problematischen Fällen zu mediieren, dann muss er klar den Willen dokumentieren, dass er eine deeskalatorische, regulative und friedensfördernde Rolle einnehmen wird. Das kann ihn im Verlauf des Verfahrens durchaus näher an die Seite des vermeintlichen Opfers bringen, zumindest solange die andere Seite dieses akzeptiert. Er muss dabei deutlich machen, dass er nicht für oder gegen eine Partei ist, sondern dass diese beide gemeinsam (und nicht er) ein Problem zu lösen haben.
Zu den Bedingungen erfolgreicher Mediation bei ethnopolitischen Konflikten gehört, dass sie in komplexe Kriseninterventionsstrategien eingebettet wird. Diese umfassen zahlreiche Instrumente und Massnahmen vor, während und nach dem eigentlichen Mediationsverfahren. Dazu gehören unter anderem Krisenprävention, Abklärungsmissionen, Monitoring, Stärkung der Minderheiten- und Menschenrechte, Demokratisierungsbestrebungen, Gute Dienste, wirtschaftliche Sanktionen, Krisenmanagement, Friedenserhaltung und Nachkrisenstabilisierung.
Mediation zwischen ethnopolitisierten Gruppen kann nicht bei der Problemlösung ansetzen bzw. stehenbleiben. Die Parteien sind in der Regel so stark ihren Positionen verhaftet, von Feindbildern geblendet, auf das Negative der anderen Seite fixiert und in ihrem Denken auf Entweder-oder-Schemata eingeengt, dass sich der Mediator auf die kommunikativen Aspekte im Hinblick auf die Verbesserung der Beziehungen der Parteien konzentrieren muss. Das scheint ein bescheidenerer Anspruch zu sein, als die Lösung des Problems ins Auge zu fassen. Tatsächlich ist es jedoch der schwierigste Teil der Mediation. Das mag mit ein Grund dafür
sein, dass diese Phase oft ignoriert wird und der Mediator in politischen Konflikten sich entweder auf die Verhandlungsebene begibt oder mit Druck und Drohung ein Ergebnis erreichen und durchsetzen will.
Der anspruchsvollere Ansatz der Konflikttransformation hingegen versucht den komplexen Rahmenbedingungen ethnopolitischer Konflikte gerecht zu werden. Der Mediator stellt die Konsultationen über die Beziehungen der Parteien in den Vordergrund, bevor er die Phase der Problemlösung auf sachlicher oder materieller Ebene einleitet. Gemäß der transformativen Schule arbeitet er mittels verschiedener Gesprächstechniken die oft verdeckten Interessen, psychischen Bedürfnisse und historischen oder künftigen Befürchtungen der Parteien heraus. Erst wenn er und in einem weiteren Schritt die Parteien verstanden haben, worum es der anderen Seite wirklich geht, ist die Bahn frei für offene Gespräche über alle denkbar möglichen Optionen, die zu einer Problemlösung führen können. Es geht also im wesentlichen darum, den verengten Horizont von Konfliktparteien zu weiten, den Blick auf die gesamte Bandbreite von Problemen und die Vielzahl von konstruktiven Vorschlägen zu legen. Im Zuge der Transformation werden sich auch die asymmetrischen Machtverhältnisse verändern, indem (zum ersten Mal) die andere Seite als solche anerkannt wird.
Der Transformationsansatz trägt den kulturellen Faktoren Rechnung. Der Mediator ist je nach Fall mit konfliktbeladenen Aspekten kultureller Nähe einerseits oder mit spannungsgeladener kultureller Heterogenität andererseits konfrontiert. In beiden Fällen wird er den Prozess auf die gegenseitige Anerkennung und Respektierung der Parteien hinsteuern. Der kulturelle Faktor darf jedoch nicht überbewertet werden, was angesichts der Polarisierung der Parteien entlang äußerer Merkmale leicht geschehen kann. Tatsächlich stellt „Kultur“ nur einen Faktor unter vielen anderen dar.
Zusammengefasst lässt sich festhalten: die transformative Mediation ist besonders für ethnopolitische Konflikte geeignet. Im Verlaufe des durch den Mediator strukturierten Prozess finden gleichzeitig eine Vertiefung und auch eine Horizonterweiterung statt. Die Parteien lernen, den Konflikt als gemeinsames Problem zu betrachten, an dem sie kooperativ arbeiten.

5.3. Das internationale Minderheitenschutzrecht
Der Minderheitenschutz gehört historisch zu den ältesten Formen der Prävention von gewaltsamer Konfliktaustragung. Seine Wurzeln liegen zum einen in den Toleranzedikten des 16. und 17. Jahrhunderts, in denen die damaligen Feudalherrscher die Schutzrechte religiöser

Minderheiten festlegten. Heute sind die Debatten um den Ausbau von Minderheitenrechten wieder höchst aktuell.
Die internationale Staatengemeinschaft hat unter dem Eindruck ethnopolitischer Konflikte nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes versucht, ein umfassendes Minderheitenschutzregime aufzubauen und damit den bereits zuvor bestehenden menschenrechtlichen Schutz zu ergänzen. In den letzten Jahren hat die Institutionalisierung eines internationalen Regimes von Minderheitenschutzrechten zwar Fortschritte gemacht, stieß aber in den intergouvernemental geprägten Institutionen der VN, der OSZE und des Europarates an Grenzen. Versteht man Minderheitenrechte nicht nur als die individuelle Garantie einer nichtdiskriminierenden Behandlung, sondern auch als einen kollektiven Anspruch auf politische und kulturelle Selbstbestimmung, dann geht es bei der Prävention auch um Fragen der Gewährung von Autonomierechten, der Schaffung föderaler Staatsstrukturen und der Teilung der Macht im Staate durch Proporzregelungen und Vetorechte zugunsten der Minderheiten. Etliche Beispiele belegen, dass die rechtzeitige Gewährung großzügiger individueller und kollektiver Minderheitenrechte eine der besten Strategien ist, um der Eskalation ethnopolitischer Konflikte entgegenzuwirken. Erwähnt können hier die schwedische Minderheit in Finnland, die Waliser im britischen Staatsverbund, die Lage der Südtiroler in Italien. An den konkreten Regelungen mag manches zu kritisieren sein, die Vereinbarungen für Südtirol sind auch nicht ganz ohne Eskalation zustande gekommen. Gleichwohl haben sie meiner Ansicht nach wesentlich dazu beigetragen, dass diese Konflikte heute nicht mehr als gewaltträchtig gelten. Es ist deshalb schwer zu verstehen, warum von diesen Regelungen so wenig Gebrauch gemacht wird. Die minderheitenrechtlichen Standards haben nur eine begrenzte konfliktregelnde Wirkung, da sie nicht auf die Ursachen der Minderheitenkonflikte in Osteuropa zugeschnitten sind, sondern abstrakt-universale Regelungsformen entwerfen.
Es gibt nur in wenigen Staaten Ansätze von Selbstverwaltung für die Minderheiten. Offensichtlich fällt es den meisten Regierenden schwer, ihre Macht zu teilen. Viele riskieren lieber die Eskalation, als sich auf eine gemeinsame Lösung einzulassen.
In Bezug auf Minderheitenrechte, die dem institutionenpolitischen Leitbild responsiver Demokratie entsprechen, ist dies insgesamt zu bejahen, auch wenn sich argumentieren lässt, dass die Einführung besonderer Mitbestimmungsrechte im Konsolidierungsprozess der Verbesserung rechtsstaatlicher Schutzbestimmungen untergeordnet werden sollte.

6. Barrieren präventiver Diplomatie
Es gibt im gegenwärtigen internationalen System erhebliche Barrieren, die der Realisierung eines wirksamen Programms präventiver Diplomatie entgegenstehen. Im folgenden werden fünf dieser Barrieren und Schwierigkeiten genauer vorgestellt. Erst in Kenntnis dieser Rahmenbedingungen ist eine realistische Einschätzung von Ansätzen und Möglichkeiten präventiver Diplomatie möglich.
(1) Die erste Barriere ist zumindest im Hinblick auf die Vereinten Nationen die massive Überforderung, die bereits die aktuelle Konfliktbearbeitung mit sich bringt. Derzeit hat die UNO in insgesamt 17 Krisenregionen Blauhelme bzw. zivile Beobachter stationiert. Zugleich ist sie jedoch überhaupt nur in einem Drittel der zur Zeit militärisch ausgefochtenen Konflikte präsent. Wenn man sich jetzt noch die Kritik vor Augen führt, die bereits an der Durchführung der Blauhelm-Einsätze geübt wird, wo sollen dann die Ressourcen und die organisatorischen Kapazitäten für die Ausweitung in Richtung auf Prävention herkommen?
(2) Die zweite Schwierigkeit hängt mit der ersten zusammen: Ressourcen und Kapazitäten werden dort bereitgestellt, wo sich Interessengruppen dafür stark machen, wo Druck erzeugt wird oder wo Spektakuläres stattfindet, das die Aufmerksamkeit der Medien und der Öffentlichkeit erregt. Die Mittel für eine bescheidene Fact-Finding- und Vermittlungsinititative für einen Konflikt aufzutreiben, über den der amerikanische Sender CNN noch nicht berichtet hat oder in dem es noch keine Toten gibt, ist meist sehr viel schwieriger, als wenig später ein Mehrfaches dieser Kosten für eine humanitäre Aktion der Opfer dieses Konfliktes zusammenzubekommen.
Ein passendes Bild ist vielleicht: So wie die Feuerwehr sicher sein kann, dass ihre Einsätze mehr Aufmerksamkeit finden als die Besuche des Brandschutzbeauftragten, so wird auch über militärische „out-of-area“-Einsätze wesentlich heftiger diskutiert als über Wege und Formen ziviler Konfliktprävention. Diese Neigung zum Feuerwehr-Modell ist freilich keine Besonderheit der internationalen Politik. Möglicherweise hält es sich hier aber auch deshalb so hartnäckig, weil das Denken in militärischen Kategorien immer noch im Mittelpunkt des Staatensystems steht.
(3) Eine andere Schlüsselkategorie des Staatensystems ist das Prinzip der nationalen Souveränität. Hier liegt eine weitere, die dritte Barriere für den Ansatz der präventiven Diplomatie. Die meisten gewaltträchtigen Konflikte, mit denen wir es heute zu tun haben, sind innerstaatlicher und nicht zwischenstaatlicher Art. Präventive Diplomatie läuft unter diesen Umständen oft zwangsläufig auf eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines oder mehrerer souveräner Staaten hinaus. Welche Möglichkeiten hatte denn die Staatengemeinschaft, die Sezessionsbestrebungen Tschetscheniens friedlich zu beeinflussen, wenn die Regierung Russlands auf dem Standpunkt steht, dies sei eine ausschließlich innere Angelegenheit ihres Landes?
Dieses Beharren auf der Souveränität als Abwehrargument gegen präventive Maßnahmen ist übrigens keine Spezialität autoritär regierter Transformationsgesellschaften in Osteuropa oder in der Dritten Welt. Auch im Westen gibt es z.B. erhebliche Vorbehalte gegen die Ausweitung von Rechten zum Schutz ethnischer Minderheiten. Für alle Nationalstaaten mit einer ausgeprägt zentralstaatlichen Tradition und einem republikanischen Staatsbürgerverständnis, wie etwa Frankreich, ist die Verankerung von Autonomiebestimmungen auf der internationalen Ebene kaum akzeptabel.
(4) Das Prinzip der nationalen Souveränität als Grundmerkmal der gegenwärtigen Staatenwelt erschwert Aktivitäten präventiver Diplomatie noch aus einem weiteren Grund und damit komme ich zur vierten Barriere: dem Dilemma aller internationaler Organisationen zwischen den Rollen des Richters und der neutralen Vermittlungsinstanz. Wenn die Vereinten Nationen sich als Staatengemeinschaft mit eigener Autorität in einem Konflikt engagieren, so stehen ihnen prinzipiell drei Möglichkeiten offen: Entweder sie ergreifen Partei für einen der streitenden Akteure, oder sie entscheiden als Quasi-Richter über die Einhaltung internationaler Standards, oder sie verstehen sich nur als Vermittler zwischen den Parteien und müssen sich dementsprechend auch an den Machtverhältnissen orientieren.
Als Vertreter einer Staatenorganisation sind die Vereinten Nationen gezwungen, prinzipiell auf Seiten der bestehenden Staaten und ihrer »territorialen Integrität« zu stehen. Sie können zwar einen Staat als Aggressor brandmarken, wie das der Sicherheitsrat mit Serbien getan hat. Wenn sie jedoch präventive Diplomatie und akutes Konfliktmanagement betreiben wollen, müssen sie auch mit jenen Parteien sprechen, die sie möglicherweise vorher „geächtet“
haben. Dieses Dilemma prägt ganz besonders die Jugoslawienpolitik der UNO, die deshalb auch für Außenstehende einen so widersprüchlichen Charakter hat.
(5) Eine fünfte Schwierigkeit, präventive Diplomatie in die Praxis umzusetzen, ist in dem eingeengten Verständnis dieses Ansatzes zu sehen, das auch noch die Vorschläge von Generalsekretär Boutros-Ghali bestimmt. Die von ihm eingangs erwähnten fünf Punkte betreffen entweder nur die Verbesserung der Informationslage oder militärische Maßnahmen. Lediglich die „vertrauensbildenden Maßnahmen“ gehen über diese konventionellen Methoden hinaus, bleiben bei ihm jedoch auch eher unbestimmt. Interessanterweise hat er in seiner „Agenda für den Frieden“ in der so genannten Konfliktfolgenzeit einen wesentlich breiteren Ansatz gewählt. In dieser Phase betont er auch die Notwendigkeit von umfassenden friedensstiftenden Maßnahmen, die die gesamte Gesellschaft einbeziehen sollten (post-conflict peace building).
Fazit
Die ethnopolitischen Konflikte stellen die Frage der Zivilisierung menschlicher Beziehungen am Ende des an Gewaltsamkeit wahrlich nicht armen 20. Jahrhunderts erneut und mit aller Schärfe. Die traditionellen Konzepte militärischer Abschreckung und Eindämmung sind dieser Aufgabe nicht gewachsen. Zweifellos wird auch die Verbesserung der Instrumente und Mechanismen ziviler Konfliktbearbeitung diese Aufgabe allein nicht bewältigen können. Erforderlich ist eine umfassende Strategie der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, der Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten. Ohne die Bereitschaft zum Aufbau einer weltweit wirksamen Kultur konstruktiver Konfliktbearbeitung wird die Zivilisierung jedoch nicht gelingen. Eine Voraussetzung für die Entwicklung einer derartigen Konfliktkultur ist zunächst, die Strukturen und Prozesse zu reflektieren, mit deren Hilfe überhaupt eine dauerhaft wirksame, einvernehmliche und gewaltfreie Regelung ethnopolitischer Auseinandersetzungen gelingen kann. Sodann geht es darum, die bereits vorhandenenen Konzepte und Strategien der Konfliktbearbeitung für ihre Anwendung in diesem Aktionsfeld fruchtbar zu machen und auf der Basis praktischer Erfahrungen weitere Instrumente und Mechanismen zu entwickeln. Von zentraler Bedeutung sind schließlich die Bildung von Konfliktbearbeitungsallianzen zwischen internen und externen Akteuren sowie von geeigneten Bearbeitungsformen für sämtliche Vertreter der Konfliktparteien.

Es muss eine langfristig erfolgreiche Friedensstrategie zur konstruktiven Gewaltprävention dieser schwierigen Konfliktart ihrer zunehmenden Komplexität erarbeitet werden, um geeignete Lösungen bzw. Regelungen der hierfür notwendigen gesellschaftlichen Transformation zur Verfügung stellen zu können. Von daher sind reine Akteure der Staatenwelt, wie z.B. Regierungen oder deren Vertreter: die Diplomaten mit dieser Aufgaben allein weitestgehend überfordert. Ihnen sind die Hände in zweierlei Hinsicht gebunden. Zum einen können staatliche Akteure erst dann aktiv handeln, wenn ein akuter Konflikt auf der hocheskalierten Ebene eines sog. Anerkennungskonflikts angekommen ist, und zum anderen sind ihre Gestaltungsspielräume in der Regel auf die Ebene der politischen Führungen beschränkt. Die Bearbeitung der tiefer liegenden Ursachen und Aspekte ethnopolitischer Auseinandersetzungen ist demgegenüber eher eine Aufgabe für Akteure der Gesellschaftswelt. Dazu gehören alle Personen und Institutionen, die Einfluss auf die Art und Weise der ethnopolitischen Identitäts- und Gruppenbildung haben. Gerade die angesprochene, tragische Hartnäckigkeit ethnopolitischer Konflikte macht es erforderlich, bei der Suche nach politischen und sozialen Regelungsmöglichkeiten die historische und psycho-soziale Tiefendimension nicht außer Acht zu lassen, da bei strikter Missachtung dieser Faktoren das frühzeitige Scheitern von Verhandlungen mitunter vorprogrammiert ist. Beim Bearbeiten der sozialpsychologischen Tiefendimension ist ein verstärkter Einbezug nicht-staatlicher Akteure dringend erforderlich; dementsprechend sollten sie umfassender Förderung unterliegen. Bislang existieren nach wie vor viel zu wenig nationale und internationale Diskussionsforen, auf denen die tiefenpsychologische Dimension ethnopolitischer Konflikt nachhaltig behandelt wird. Erschwerend hinzu tritt, dass die wenigen vorhandenen Projekte zusätzlich durch mangelhafte Ressourcenausstattung gekennzeichnet sind. Insofern legen die Grenzen konstruktiver Gewaltprävention durch nationalstaatliche Diplomatie wie auch die zu engen Möglichkeiten der produktiven Kooperation traditioneller und neuartiger Mediationsmethoden den realistischen Schluss nahe - der Bereich der interaktiven Problemlösung durch gesellschaftliche Akteure bedarf einer gewaltigen Aufwertung. Um dieses Ziel in der langfristigen Perspektive zu erreichen liegt der nächste wichtige Schritt darin, die jahrhunderte alte Dichotomie von staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren zu minimieren.

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